Reicht der Schulsport aus?

Eine Stunde Bewegung pro Tag empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Kinder. Dabei fordert die WHO nicht einmal Sport, sie ist schon froh über einfache Aktivitäten wie Gehen, Treppensteigen oder Fahrradfahren. Denn „Eltern und Kinder sind in den letzten zehn bis 15 Jahren regelrecht erstarrt“, sagt der Sportwissenschaftler Endré Puskas aus Berlin.

Seit 20 Jahren ist Puskas im Sportgesundheitspark Berlin im Programm „Fidelio“ tätig. Dort lernen übergewichtige und bewegungsarme Kinder und Jugendliche Spaß an Aktivität. Aus Puskas‘ Sicht können wöchentlich zwei oder drei Mal 45 Minuten Schulsport vorhandene Defizite längst nicht mehr ausgleichen.

„Aufbauen, abbauen, Anwesenheit, hintereinander stehen und warten, bis man mal überhaupt über den Bock springt – das hat nix mit Sport und Bewegung zu tun“, sagt Puskas. Von den 45 Minuten blieben nach Umziehen und Aufwärmen etwa acht bis zehn Minuten übrig, in denen Kinder sich körperlich austobten.

Bewegen sich Kinder langfristig zu wenig, wirkt sich das fast immer negativ aus – von Übergewicht über Diabetes bis zu Gelenk- und Konzentrationsproblemen. Viele spüren auch als Jugendliche und Erwachsene noch die Folgen ihres Bewegungsmangels.

Freizeit? Fehlanzeige

Smartphones, Tablets, Fernsehen und Computerspiele gelten laut zahlreichen Experten als eine der Ursachen für die Trägheit unter Kindern. Auch Hendrik Hein, Vater und Sportlehrer an der Carl-Schurz Schule in Frankfurt am Main, vertritt diese Auffassung. Er sieht jedoch auch noch andere Ursachen.

Kinder hätten heute einen dichten Terminkalender, vieles davon finde im Sitzen statt. Unverplante Freizeit? Fehlanzeige. Hein beobachtet zudem, dass die Räume schrumpfen, in denen sich Kinder ohne engmaschige Begleitung verausgaben können. „Wenn ich als Kind zwanzig Mal vom Baum gesprungen bin, dann weiß ich, was ich tue“, sagt der Sportlehrer. Das sei der beste Weg, Grundlagen für Körperbeherrschung zu erwerben, die schlimmere Unfälle beim Spielen verhindern können.

Den Mangel an Bewegung gleiche der Schulsport heute nicht mehr aus, glaubt auch Hein. Zudem falle der Sportunterricht an vielen Schulen oft als Erstes aus. Der Pädagoge hält es für wichtig, bei Bewegungsangeboten den Nerv der Kinder zu treffen. „Mit Parkour-Training kann ich meine Schüler eher überzeugen, die gleichen Bewegungen zu machen, als wenn ich das Turnen nenne.“

„Schatzsuche“ statt Spaziergang

Weniger sitzen und weniger Zeit vor Bildschirmen sind ein Gewinn für Kinder – da sind sich alle Experten einig. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) empfiehlt mindestens 1,5 Stunden Bewegung am Tag, vor allem nach langem Sitzen, etwa in der Schule. An zwei bis drei Tagen darf es ruhig anstrengender werden, sei es beim Volleyballtraining oder beim Schwimmen.

Weitere Aktivitäten müssen nicht teuer und aufwendig sein – und lassen sich oft einfach in den Alltag integrieren. Der Schulweg kann mitunter zu Fuß oder mit dem Rad erledigt werden. Wenn Eltern den Spaziergang zur „Schatzsuche“ erklären, lassen sich besonders jüngere Kinder eher dafür begeistern, lautet ein weiterer Rat der BZgA. Wer findet als Erster etwas Rotes oder den schönsten Stein?

Außerdem sollten Familien bei jedem Wetter rausgehen – in den Park, auf den Spielplatz oder einfach nur toben, spielen und balancieren auf Bäumen, Mauern und Treppen. Aber auch drinnen ist Bewegung möglich, etwa, wenn Eltern die Kleinen Höhlen bauen lassen oder der Teppich zur Spielwiese wird. Sportlehrer Hein findet: „Man muss den Kindern die Bequemlichkeit wegnehmen!“ Wer will, dass Kinder sich auch ohne Anleitung bewegen, muss ihre Selbstständigkeit fördern: „Geh‘ zu Fuß, nimm dein Fahrrad, das allein ist schon ein großer Punkt“, so Hein.

Falls es wirkt, kann auch YouTube helfen

Moderates Training im Fitnessstudio sei eine gute Ergänzung für ältere Jugendliche, sagt der Sportlehrer. Kostenlos ist Sport und Bewegung in Parks oder auf Bolzplätzen – vielerorts finden sich Tischtennisplatten, Basketballkörbe oder Tore zum Kicken. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) empfiehlt neben Sportvereinen auch Fitness- oder Bewegungsapps. Eltern sollten mit ihren Kindern ein passendes Angebot auswählen. Auch auf YouTube-Kanälen präsentieren Influencer zum Teil Fitnessübungen für Zuhause, die das Potenzial haben, den Nachwuchs zu motivieren.

Éndre Puskas beobachtet jedoch auch positive Tendenzen, junge Eltern, die zunehmend auf Ernährung und Medienkonsum achten oder den Nachwuchs auch mal zum Joggen mitnehmen. Überfordern könne man Kinder dabei nicht – eher unterfordern, so der Sportwissenschaftler: „Wenn das Kind an der Grenze ist, dann macht es nicht mehr weiter. Das machen nur Erwachsene.“ Er appelliert an Eltern: „Wir alle müssen aktiver werden, und wir müssen uns bewegen – dann bewegen sich die Kinder mit uns mit.“

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