Gefährliche Parasiten auf FFP2-Masken und Coronatests? Was hinter Morgellons steckt
Auf Masken und Teststäbchen sollen sich dunkle, fadenartige Wesen befinden und Menschen befallen. Das suggerieren Amateurvideos im Netz. Die Rede ist von sogenannten Morgellons – nur unter dem Mikroskop sind sie sichtbar. FOCUS Online erklärt den vermeintlichen Parasitenbefall.
Eine medizinische Maske liegt unter einem Mikroskop. Auf einem Bildschirm ist die Vergrößerung zu sehen. Das Mikroskop hat auf hellem Hintergrund einen einzelnen dunklen Faden erfasst. „Wir beginnen wieder, es mit Wärme zu aktivieren“, sagt eine Frauenstimme, die Kamera schwenkt auf einen Mann, der auf die Maske pustet. Was passiert? „Wir sehen, dass es sich bewegt“, sagt die Frau.
Sie spricht dabei nicht von einer herkömmlichen dunklen Stofffaser. Sie hält diesen Faden für ein Lebewesen, einen Parasiten. Einen sogenannten Morgellon. Videos wie diese kursieren derzeit vielfach im Netz. Mal werden Masken unter die Lupe genommen, mal das Wattestäbchen eines Corona-Tests. Und immer wieder finden sich dunkle Fasern, die sich bewegen, wenn sie angepustet oder an einen Wassertropfen gehalten werden.
Auf Masken und Tests: Parasit oder harmlose Faser?
Nun gibt es die einen, die davon ausgehen, dass es sich um eine Faser handelt, die vermutlich bei der Produktion auf die weiße Maske geraten ist. Dass sich Fasern in einem Luftstrom bewegen, wundert sie nicht. Sind sie elektrostatisch aufgeladen, kann auch mal der Eindruck entstehen, sie würden sich ganz von allein bewegen (wie Haare, die an einem Luftballon gerieben wurden und dann vom Kopf abstehen).
Dann gibt es die anderen, die dahinter eine Verschwörung vermuten. Sie meinen, Parasiten auf den Gegenständen gefunden zu haben, die in ihre Haut eindringen können und krank machen. „Die Menschheit wird angegriffen“, schreibt ein Twitter-Nutzer zum genannten Video. Glaubt man einem Facebook-Post, verlangt eine Rossmann-Kundin ihr Geld zurück, weil sie bei der Drogeriekette Masken gekauft hat, die „mit Morgellons verseucht“ waren.
Die Corona-Pandemie hat das Mysterium Morgellons wiederbelebt, doch das vermeintlich neue Phänomen ist Hautärzten längst bekannt. Studien zu Morgellons gibt es mehr als 80 – doch keine konnte den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, dass es solche Parasiten tatsächlich gibt.
Morgellons? 0,2 Prozent der Bevölkerung leidet unter Dermatozoenwahn
Uwe Gieler und seine Kollegen erleben trotzdem seit Jahren, dass Menschen in ihre Praxis kommen, die sich von Morgellons befallen glauben. Gieler ist Spezialist auf dem Gebiet der Psychosomatischen Dermatologie, also der Lehre von Haut und Psyche. Er leitet stellvertretend die Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Uniklinik Gießen und Marburg.
Die Einbildung von Morgellons unter der Haut zählt zum sogenannten Dermatozoenwahn. „Betroffene sind der festen Überzeugung, dass Veränderungen in ihrer Haut vorhanden sind, missinterpretieren diese und verarbeiten sie wahnhaft. Sie versuchen, gemeinsam mit Medizinern einen Beweis dafür zu finden. Gelingt das nicht, wechseln sie im Zweifelsfall den Behandler“, erklärt Uwe Gieler. „Diese unabänderliche Überzeugung macht den Wahn aus. Alle Hautärzte in Deutschland kennen diese Wahnform, auch Tropenmediziner und Veterinärmediziner, weil sich Betroffene auch dorthin wenden.“
Was ihm seine Patienten als vermeintliche Parasiten, die sie auf ihrer Haut gefunden haben, bereits präsentierten, hat Gieler auf Fotos dokumentiert: In kleinen Behältern finden sich Hautschuppen, Textilfasern, kleine Gewittertierchen und sogar Zweige mit Weidenkätzchen. Uwe Gieler Patienten sammeln und präsentieren vermeintliche Parasiten in kleinen Behältern. Etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung sind hierzulande vom Dermatozoenwahn betroffen, schätzt Gieler. Das sind rund 166.000 Menschen allein in Deutschland. Sie leiden an einer ernsten Erkrankung, allerdings keiner körperlichen, sondern einer psychischen. Helfen kann eine Psychotherapie. Bei Dermatozoenwahn kommen auch Psychopharmaka zum Einsatz. Doch oft akzeptieren Betroffene diesen Behandlungsweg nicht, weil sie sich nicht psychisch krank fühlen.
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Diese Parasiten können den Menschen befallen
Die Existenz von Morgellons ist wissenschaftlich nicht erwiesen, doch es gibt durchaus Parasiten, die den Menschen befallen. In allen bislang bekannten Fällen ist eine Infektion über einen abgepackten, unbenutzten Mund-Nasen-Schutz oder ein frisches Teststäbchen allerdings äußerst unwahrscheinlich, wenn nicht sogar ausgeschlossen.
Außerdem zeigen sich bei einem Befall durch bekannte Parasiten meist ganz konkrete Symptome, die auf eine Infektion schließen lassen – im Gegensatz zu den diffusen Beschwerden, die Morgellons-Patienten beschreiben: von Kopfschmerzen bis Fußkribbeln, von Augenleiden bis hin zu Verdauungsbeschwerden oder Ängsten und Zwangshandlungen.
Ein Überblick über mögliche Parasiten, die Menschen befallen können:
- Fadenwürmer: Die langen, fadenförmigen Würmer sehen den dunklen Textilfasern, die auf Masken entdeckt wurden, tatsächlich ähnlich. Allerdings gelangen sie nicht über Stoffe oder andere Gegenstände in den Körper, sondern über den Verzehr von rohen Lebensmitteln, die mit Eiern oder Larven der Würmer verunreinigt sind. Je nach Art des Wurms können sich unterschiedliche Beschwerden zeigen, von Krämpfen, Juckreiz am After oder Durchfall bis hin zu einem Darmverschluss oder einer Blutvergiftung.
- Larva migrans, zu deutsch Hautmaulwurf: Dabei handelt es sich um einen Parasiten, der zur Familie der Hakenwürmer gehört. Die Larven bohren sich in die Haut und legen dort bis zu drei Millimeter breite Kanäle an, die sich als bizarre Spuren unter der Haut abzeichnen. Betroffene haben massiven Juckreiz, Schwellungen und Blasen – hervorgerufen durch die Immunantwort des Körpers auf den Parasiten. Übertragen wird der Wurm nicht über Textilien wie Masken, sondern durch Sandflöhe. Wer an den Stränden der Karibik, in Afrika, Asien oder Südamerika barfuß durch den Sand läuft, kann davon befallen werden.
- Krätzmilben: Sie können in die Haut eindringen und dort ihre Eier und andere Ausscheidungen ablegen. Das führt zu starkem Juckreiz. Übertragen werden Krätzemilden hauptsächlich durch engen Hautkontakt mit einer infizierten Person oder Geschlechtsverkehr. Der Kontakt muss mindestens mehrere Minuten stattfinden, ein kurzes Händeschütteln reicht für gewöhnlich nicht. Denn Krätzemilben springen nicht und fliegen nicht durch die Luft, sie wandern. Auch die Gefahr, über eine neue, unbenutzte Maske mit Krätzemilben infiziert zu werden, ist „so gut wie ausgeschlossen“, sagt Gieler.
- Bettwanzen: Diese blutsaugenden Insekten verbreiten sich hauptsächlich über bereits befallene Gegenstände, etwa alte Möbelstücke, die auf dem Flohmarkt gekauft wurden. Ist ein Hotelbett befallen, können die Tiere über das Gepäck mit in den eigenen Haushalt wandern. Dort deuten Kotspuren in Form von kleinen schwarzen Punkten auf den Befall hin. Anzeichen für Bettwanzenstiche auf der Haut sind juckende, gerötete Pusteln, wenige Millimeter bis einige Zentimeter groß. Auch Blasen können sich nach dem Stich einer Bettwanze bilden. „Eine Übertragung durch Corona-Masken und Textilfasern ist auch in diesem Fall überhaupt nicht denkbar“, sagt Gieler.
Der Psychodermatologe fasst zusammen: „Es gibt eine ganze Reihe von Infektionskrankheiten der Haut. Diese können wir allerdings alle nachweisen. Bei den Morgellons war bisher noch kein ernstzunehmender Wissenschaftler in der Lage, diese klar zu identifizieren. Und die diskutierten Übertragungswege sind absurd. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Morgellons wissenschaftlich in keiner Weise sichern lassen.“
Corona-Teststäbchen unter dem Mikroskop
Mark Benecke stützt die Aussagen von Uwe Gieler mit einer aktuellen Untersuchung. Der Sachverständige für biologische Spuren hat in seinem Labor die Stäbchen eines Corona-Antigentests unter einem Mikroskop untersucht. Auch er hat dort dunkle, fadenartige Fasern ausgemacht. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, dass es sich in seiner Untersuchung um blaue Textilfasern handelte. „Die könnten aus der Fabrik stammen, in dem die Stäbchen hergestellt wurden – zum Beispiel von der Arbeitskleidung der Mitarbeiter.“ Die Stäbchen werden dort nicht im Reinraum hergestellt, sagt er, sondern sie werden erst nach der Produktion sterilisiert.
Dass sich die Fasern unter bestimmten Umständen in den Videos krümmen und biegen, kann Benecke erklären: „Wenn man auf die Fasern draufhaucht, nehmen sie die Feuchtigkeit und Wärme aus der Atemluft auf und bewegen sich dann. Auch elektrostatische Anziehungskräfte beispielsweise unter der Verpackungsfolie können für die Bewegung verantwortlich sein.“
Dass einige Leute bei diesem Anblick im ersten Moment fälschlicherweise an Parasiten denken, findet er nachvollziehbar. Insbesondere, wenn der Eindruck durch die Form der Fasern noch verstärkt wird: „Wenn man die Textilfasern vergrößert, kann die verdrillte Faser auch schon mal ähnlich aussehen wie beispielsweise winzige Muskeln“, sagt der Experte.
Der Effekt der elektrostatischen Anziehungskräfte wird durch das Material begünstigt. Synthetische Stoffe wie Polyester sind besonders anfällig dafür, zeigt etwa eine Studie der Wissenschaftler Chishiko Takatsuki und Teruko Tamura. FFP-Masken werden laut der Beipackzettel der Hersteller in der Regel aus Polypropylen und Ethylen-Vinyl-Acetat hergestellt. Die Teststäbchen eines Corona-Antigentests sind in der Regel aus Polyester. Alle Stoffe werden seit vielen Jahren verwendet und sie sind toxikologisch unbedenklich, heißt es vom Universitätszentrum für Allgemeinmedizin und Gesundheitswesen im schweizerischen Lausanne auf Anfrage.
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