Die Revolution gegen Gebärmutterhalskrebs ist längst da – doch kaum einer nutzt sie

Seit gut zehn Jahren sollen in Deutschland Impfungen Gebärmutterhalskrebs verhindern. Nun zeigt eine Studie, dass solche Programme schützen. Doch die Impfrate ist hierzulande bescheiden – und Experten bemängeln auch die Programme zur Tumor-Früherkennung.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) strebt ein ehrgeiziges Ziel an: die weltweite Eliminierung von Gebärmutterhalskrebs, dem vierthäufigsten Tumor bei Frauen. Nun attestiert eine große Übersichtsstudie, dass das Vorhaben praktikabel ist. Demnach senken nationale Impfprogramme gegen Humane Papillomviren (HPV) bei jungen Frauen das Risiko für Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs deutlich.

Darüberhinaus profitieren davon durch die sogenannte Herdenimmunität auch ungeimpfte Bevölkerungsgruppen wie etwa ältere Frauen und Männer. Das Ausmaß des Schutzeffektes hängt jedoch maßgeblich vom jeweiligen Impfprogramm ab, wie das internationale Forscherteam um Mélanie Drolet von der Université Laval in Quebec im Fachblatt „The Lancet“ berichtet.

„HPV wird in fast 100 Prozent der Fälle gefunden“

Humane Papillomviren sind überaus weit verbreitet und werden beim Sex übertragen. Manche der mehr als 200 bekannten Virustypen führen zu harmlosen Warzen, andere verursachen mehr oder weniger bösartige Gewebeveränderungen, unter anderem an Gebärmutterhals, Scheide, Penis, After und im Mund-Rachen-Bereich. Inzwischen gelten die Viren als Hauptursache von Gebärmutterhalskrebs. „HPV wird in fast 100 Prozent der Fälle von Gebärmutterhalskrebs gefunden“, sagt die Epidemiologin Drolet.

Das bestätigt Thomas Harder vom Fachgebiet Impfprävention am Robert Koch-Institut (RKI): „Man weiß aus der Grundlagenforschung, dass die Viren tatsächlich auch die Ursache der Tumore sind. Das steht fest.“ Für seine Forschung auf dem Gebiet hatte der frühere Leiter des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), Harald zur Hausen, 2008 den Nobelpreis für Medizin erhalten. Getty Images/iStockphoto/Antonio Diaz Eine Frau lässt sich beim Arzt impfen

Varianten 16 und 18 sind besonders gefährlich

Als gefährlich gelten vor allem die HPV-Varianten 16 und 18, die etwa 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs verursachen. In Deutschland erkranken pro Jahr über 4500 Frauen an einem Zervixkarzinom, etwa 1500 sterben jährlich daran. Weltweit ist es mit rund 570.000 Fällen jährlich der vierthäufigste Tumortyp bei Frauen, im Jahr 2018 starben daran mehr als 313.000 Patientinnen. Zudem verursachen die Viren – bei Frauen wie Männern – seltenere Tumore etwa an Anus, Penis sowie im Mund- und Rachenraum.

Die HPV-Impfung wurde 2007 in Deutschland zugelassen und wird inzwischen in mehr als 100 Ländern und Territorien eingesetzt. Empfohlen wird sie in Deutschland für Mädchen – und inzwischen auch für Jungen – von 9 bis 14 Jahren, möglichst vor dem ersten Sex und einer damit verbundenen möglichen Infektion, sowie als Nachholimpfung bis zum 18. Geburtstag.

Eine Studie mit 16 Millionen Menschen

Eine Studie der Cochrane Collaboration hatte vor einem Jahr ergeben, dass die Impfung das individuelle Infektionsrisiko deutlich senkt: „Die HPV-Impfstoffe vermindern das Risiko für eine mit HPV16/18 assoziierte Krebsvorstufe von 164 auf 2 pro 10.000 Frauen“, schrieb das Netzwerk damals. Hinweise auf schwere Nebenwirkungen fanden die Forscher nicht.

Nun analysierte das Team um Drolet die Folgen nationaler Impfprogramme auf Bevölkerungsebene. Dazu wertete es 65 hochwertige Studien aus 14 wohlhabenden Ländern aus, darunter Deutschland. Insgesamt erfassten die bis Oktober 2018 veröffentlichten Studien etwa 60 Millionen Menschen. Die Forscher verglichen die Zeiträume vor und nach Einführung der Impfung vor allem für drei Fragen:

  •  die Entwicklung der HPV-Infektionen
  • die Diagnosen von Anogenitalwarzen (Warzen an Anus und Genitalien)
  • die Diagnosen von mittelgradigen bis gravierenden Tumorvorstufen (CIN2+).

Die Resultate für den Zeitraum von fünf bis acht Jahren nach Einführung der Vakzine:

  • Infektionen mit HPV16 und HPV18 sanken bei Mädchen von 13 bis 19 Jahren im Mittel um 83 Prozent und bei Frauen von 20 bis 24 Jahren um 66 Prozent. Bei Mädchen von 13 bis 19 Jahren gingen auch Infektionen mit den HPV-Varianten 31, 33 und 45 um gut die Hälfte (54 Prozent) zurück.
  • Die Diagnosen von Anogenitalwarzen sanken bei Mädchen von 15 bis 19 Jahren um zwei Drittel (67 Prozent), bei Frauen von 20 bis 24 um ein Drittel (31 Prozent), bei Jungen von 15 bis 19 um die Hälfte (48 Prozent) und bei Männern von 20 bis 24 Jahren um ein Drittel (32 Prozent). Von den Impfprogrammen profitierten demnach auch jene Bevölkerungsgruppen, die selbst nicht geimpft wurden.
  • Die Diagnosen der Tumorvorstufen vom Grad CIN2+ sanken bei Mädchen von 15 bis 19 Jahren um die Hälfte (51 Prozent) und bei Frauen von 20 bis 24 Jahren um knapp ein Drittel (31 Prozent).

Die Effektstärke hing jedoch von der Durchimpfungsrate ab sowie davon, ob verschiedene Jahrgänge geimpft wurden. In Ländern mit hoher Durchimpfung sanken die Diagnosen von Anogenitalwarzen bei beiden Geschlechtern im Alter von 15 bis 19 Jahren um etwa 87 Prozent, Vorstufen von Gebärmutterhalskrebs wurden um 57 Prozent weniger diagnostiziert. In Deutschland richtet sich die Impfung zwar an eine relativ breite Altersgruppe, die Impfrate bei Mädchen ist jedoch mit etwa 45 Prozent bescheiden.

„Unsere Resultate liefern starke Belege dafür, dass die HPV-Impfung tatsächlich Gebärmutterhalskrebs verhindern kann, denn sowohl die HPV-Infektionen, die die meisten Tumore verursachen, als auch die Krebsvorstufen nehmen ab“, wird Drolet in einer „Lancet“-Mitteilung zitiert. Das bestätige die WHO-Empfehlung, Mädchen im Alter von 9 bis 14 Jahren zu impfen. Getty Images/iStockphoto/noipornpan Eine Frau beim Arzt (Symbolbild)

Kein endgültiger Beweis

Zwar könne die Studie nicht beweisen, dass der Rückgang der Infektionen und Diagnosen tatsächlich auf die Impfprogramme zurückgeht, räumt das Team ein. Dies sei aber sehr wahrscheinlich, da Länder mit höherer Durchimpfung stärkere Rückgänge verbuchten.

„Das ist die bisher größte systematische Übersichtsarbeit, die die Folgen von HPV-Impfungen auf Populationsebene untersucht“, sagt der RKI-Experte Harder. Auch er glaubt, dass der gefundene Schutzeffekt auf die Impfprogramme zurückgeht.

„Daran wird niemand ernsthaft zweifeln“

Davon geht auch Ingrid Mühlhauser vom Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin aus. Wie ausgeprägt der Effekt konkret ist, lasse sich aber nur schwer sagen, sagt Mühlhauser, die an der Universität Hamburg Gesundheitswissenschaften lehrt. Zum einen seien in die Studie Daten aus sehr unterschiedlichen nationalen Impfprogrammen eingeflossen.

Zudem seien die Zahlen zu Infektionen und Krebsvorstufen nicht unbedingt repräsentativ, da gerade Mädchen und junge Frauen nur selten untersucht würden. „Das Studiendesign ist anfällig für Verzerrungen“, betont sie. „Dennoch glaube ich, dass die Impfung zu einer Reduzierung der Krebsvorstufen führt. Daran wird niemand ernsthaft zweifeln.“

Kritik am Verfahren

In Deutschland sind laut Harder derzeit zwei HPV-Impfstoffe zugelassen – einer richtet sich gegen die HPV-Varianten 16 und 18, der andere noch gegen sieben weitere HPV-Typen. Die Impfstoffe werden gewöhnlich zwei Mal im Zeitraum von mindestens fünf Monaten gespritzt. Schwere Nebenwirkungen – also abgesehen von Schmerzen an der Einstichstelle, Hautrötungen oder kurzzeitigen Kreislaufproblemen – sind demnach nicht bekannt.

Eingebettet ist das Impfprogramm in Deutschland in das Screening auf Gebärmutterhalskrebs. Daran übt Mühlhauser scharfe Kritik. Derzeit sollen Frauen sich ab dem Alter von 20 Jahren jedes Jahr per Pap-Abstrich auf veränderte Zellen untersuchen lassen – viel zu früh und viel zu häufig, findet sie. Weil sich Veränderungen oft spontan zurückbilden, würden viele Frauen bei auffälligem Befund unnötig beunruhigt und mitunter auch behandelt. Getty Images/iStockphoto Das weibliche reproduktive System (3D-Grafik)

Wie oft zum Arzt?

Ab Januar 2020 ändert sich das Programm: Frauen von 20 bis 34 Jahren wird weiter zum jährlichen Pap-Test geraten, ab 35 sollen sie sich dann bis zum Alter von 65 Jahren alle drei Jahre einem Pap- und zudem einem HPV-Test unterziehen. Übertrieben findet das Mühlhauser, zumal die Impfung zu einem deutlichen Abfall der HPV-Infektionen führen dürfte.

Zum Vergleich: Die WHO empfiehlt, Frauen erst ab dem Alter von 30 Jahren zu untersuchen – und dann bei unauffälligem Befund im Abstand von fünf Jahren. Das wären insgesamt 8 statt der in Deutschland ab 2020 empfohlenen 25 Tests. Belege dafür, dass die häufigeren Screenings das Erkrankungsrisiko senken, gibt es laut Mühlhauser nicht. „Das führt oft zu Überdiagnosen und Übertherapien und schadet damit vielen Frauen“, betont sie.

„Ein Paradebeispiel für die Prävention von Krebs“

Positiv bewertet die Expertin an der Neuerung, dass Ärzte ab 2020 die Resultate der Untersuchungen dokumentieren müssen. Damit lasse sich künftig der Nutzen der HPV-Impfung zuverlässiger als bisher ermitteln.

Die bundesweite HPV-Durchimpfungsrate bei Mädchen von 45 Prozent hält der RKI-Experte Harder für steigerungsfähig – in anderen Gebieten wie etwa Schottland werden bis zu 90 Prozent erreicht. Die Impfrate lasse sich erhöhen, wenn man die Vakzine im Rahmen von Schul-Impfprogrammen anbiete oder Einladungssysteme nutze, etwa im Rahmen von Kinder- und Jugendvorsorgeuntersuchungen.

Das Ziel der WHO, Gebärmutterhalskrebs weltweit zu eliminieren, hält Harder für sehr ehrgeizig, aber erreichbar. Doch wie sieht es in ärmeren Ländern aus? Bis zum Jahr 2021 wollten fast 40 solche Staaten Impfprogramme auflegen, schreibt Silvia de Sanjose von der Gesundheitsorganisation PATH in Seattle in einem „Lancet“-Kommentar. Die jetzige Studie werde der WHO helfen, HPV-Impfgrogramme weltweit durchzusetzen, glaubt sie: „Die HPV-Impfung könnte ein Paradebeispiel für die Prävention von Krebs im 21. Jahrhundert werden.“ The Weather Channel Superzelle passiert deutsche Grenze: Jetzt drohen sogar Tornados

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