Der Hype um Sneaker – und welche für den Sport wirklich sinnvoll sind

Frauen und Schuhe sind ja bekanntlich so eine Sache. Aber an diesem Morgen im Tokioter Szeneviertel ­Shibuya sind es fast nur Männer, die sich um die Auslagen drängen. Einer ist Shu Asaoka. Früh um fünf ist er aufgestanden, und schon zwei Stunden bevor die „Atmos Con“, eine der wichtigsten Sneaker-Messen der Welt, ­eröffnet hat, steht der junge Saxofonist vor den Eingangstüren. Wenig später strahlt er und freut sich über zwei dicke Tüten in seinen Händen.

Asaoka hat sich sogar beim Shoppen von einem Freund mit dem Handy filmen lassen. Zu sehen ist, wie er mit seiner goldenen Kreditkarte bezahlt und zwei Schuhkartons einpackt. Einer ist von Nike und einer von Adidas. „Ich habe einen ‚Air Jordan 1‘ gekauft und einen ‚NMD_R1‘, der im Dunkeln leuchtet“, sagt er stolz. „Sneaker sind mein Leben.“ Asaoka muss fast schreien, damit man ihn versteht. Aus den Lautsprecherboxen dröhnt „Em­pire State of Mind“ von Jay-Z und Alicia Keys. Wie ­viele Turnschuhe er besitzt? Asaoka muss nicht lange überlegen: „Das sind Nummer 99 und 100.“ Dann, nach einer kleinen Pause: „Jetzt muss ich wieder zwei Paar verkaufen, mehr Platz habe ich in meiner Wohnung nicht.“

Turnschuhe sind Kult – und die Atmos Con ist die Kathedrale für Sneaker-Verrückte. Die Messe findet in einem der gläsernen Hochhaustürme ­Tokios statt. Hier stellen die großen Hersteller vor, was Trend werden soll. Ihr Kalkül: Was im modeverrückten Japan gut verkauft und getragen wird, kann auch weltweit ein Erfolg werden. Der Verkauf der sportlichen Schuhe ist einer der wichtigsten Motoren für den Erfolg der Sportartikelfirmen. Weltweit geben Konsumenten heute pro Jahr ­geschätzt etwa 100 Milliarden Dollar für Sneaker und Co. aus. Nike und Adidas sind am erfolgreichsten. 22,3 Milliarden Dollar verdiente die ­Marke mit dem „Swoosh“ 2018. Die Welt liebt Turnschuhe: Teenager, Mütter, Rentner, Vorstands­vorsitzende, Modedesigner, Grundschullehrerinnen und britische Adlige tragen sie. In Deutschland sind ein Viertel aller verkauften Schuhe Sneaker.

Immer neue Modelle

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Themen im Heft:

Auf Plattformen wie Stockx oder Klekt werden Turnschuhe wie Aktien an der Börse gehandelt. Rote und grüne Pfeile, graue Linien und bunte ­Zahlen prognostizieren die Wertentwicklung und ob sich ein Kauf lohnt. In China verschulden sich ­junge Erwachsene sogar – Turnschuhe gelten dort als gewinnträchtige Geldanlage.

In Tokio werden die Schuhe präsentiert wie Schmuckstücke: auf Podesten und in bunte Lichtkegel getaucht. Vor einigen Modellen verharren „Sneakerheads“ – so nennen sich besonders fanatische Turnschuhliebhaber – andächtig, manche flüstern nur noch. Mittendrin steht der Brite Kish Kash mit protziger Silberkette und weiter Camouflagehose. Er ist einer der Hohepriester des Turnschuhkults. In seinem Apartment in London ­stapeln sich etwa 2000 Paar. „Mein Archiv“, sagt er. Hersteller laden ihn rund um die Welt ein, ­damit er über ihre Schuhe berichtet. Auch er war erfolgreich an diesem Morgen, er hat ein Paar Retro­schuhe von Nike in grellem Orange und Schwarz ergattert. „Ich freue mich darauf, die nachher ­auszupacken.“ Bei Instagram schauen ihm regelmäßig mehrere Tausend Follower dabei zu, wie er Schuhkartons öffnet und seine neuesten Errungenschaften präsentiert.

Dad-Sneaker statt Ugly Sneaker

Da die Turnschuhshow immer weiterlaufen muss, braucht es immer neue Modelle. Im vergangenen Jahr waren die Ugly Sneaker das angesagte Modezubehör: klobige Schuhe mit dicker Sohle, meist aus einem Mix von Leder und Netz, die nach ihrer Hässlichkeit benannt wurden. Eines der erfolgreichsten Modelle kam von Balenciaga, es hieß „Triple S“, wog so viel wie eine Bratpfanne – und war trotz seines Aussehens und seines Preises von knapp 800 Euro ständig ausverkauft.

In diesem Jahr nun aber der komplette Wandel. Jetzt sind es die klassischen Laufschuhe, die Straße und Laufstege erobern. Schuhe, in denen man – die eigene Fitness vorausgesetzt – problemlos bei einem Marathon antreten könnte. Hergestellt von klassischen Laufschuhmarken wie New Balance, Hoka One One oder Asics. Eines der begehrtesten Modelle derzeit ist der „Gel Kayano“, der auch zur Ausstattung der japanischen Olympiamannschaft gehört. Früher wurde er als Dad-Sneaker belächelt, als biederer Schuh, vor allem getragen von älteren Herren. Nun lieben ihn Influencer, Modeblogger und Streetstyle-Stars plötzlich.

Der Laufschuh „Solar Hu Human Made“ von Adidas und Pharrell ­Williams (rechts) ist vor allem bei Teenagern sehr begehrt. Sieht spacig aus und trägt einen Namen wie ein Raumschiff: „Li-Ning Ut Ace Brown 19SS-I“ (links)

Turnschuhe sind salonfähig geworden 

Als Joschka Fischer vor 35 Jahren zur Vereidigung als hessischer Umweltminister weiße Nike-Schuhe trug, war das ein Skandal. Damals wurden Turnschuhe nur zum Sport getragen. Heute trägt Kish Kash ein T-Shirt mit dem Foto des Grünen-Politikers, das ihn zeigt, als er im hessischen Landtag gerade die Hand zum Eid hebt. „Der Typ ist mein Held“, sagt Kish Kash. Er meint damit aber nicht den Politiker, von dem hat der Brite keine Ahnung. Er spricht über den Turnschuhträger.

Der Siegeszug der bequemen Treter begann mit der New Yorker Band Run DMC, die mit ihrem Song „My Adidas“ aus den Sportschuhen eine Ikone der Jugendkultur machte. Ein Jahr zuvor entwarf Nike für den Basketball-Überstar Michael Jordan den ersten „Air Jordan“. Und über die Hip-Hop-Szene ­erreichten die Sneaker dann schnell die Massen. Der Rest ist Modegeschichte.

Dass das extrem lukrative Geschäft weiterläuft, dafür sorgen Kish Kash und viele seiner Art. Über Instagram, Twitter oder Tiktok heizen Influencer wie er den Hype um immer neue Schuh­modelle an. Viele, die sich unabhängig geben, ­werden für ihre Lobeshymnen und Präsentationen von Herstellern bezahlt. Rasend schnell werden immer neue Modelle auf den Markt gebracht. Es geht um Form, Farbe und Image. Mit den Schuhen wird vor allem ein Lebensgefühl verkauft.

Dieses Modell von Nike, der „LDWaffle Sacai“, sieht vergleichsweise schlicht aus

Eines der erfolgreichsten Beispiele der vergangenen Jahre ist die Zusammenarbeit von Kanye West und Adidas. Wie viel der Rapper wirklich zum Design der „Yeezy“-Schuhe beigetragen hat, ist nicht bekannt. Aber die hässlichen Sportschuhe mit der wulstigen Sohle und dem sockenartigen Oberteil brachten Adidas überhaupt einmal in die Nähe des großen Konkurrenten Nike. Für die limitierten Schuhe stehen Fans noch immer Schlange, 2019 machte Adidas alleine damit einen geschätzten Umsatz von 1,5 Milliarden Dollar.

Für eine Nachfolgerin ist auch gesorgt. Musikstar Beyoncé brachte gerade unter dem Namen „Ivy Park“ eine erste Kollektion mit Adidas heraus. Die vier Schuhmodelle waren nach dem Verkaufsstart innerhalb weniger Stunden vergriffen. Das klassisch weiße Modell „Sleek Super 72“ wird online für den doppelten Startpreis gehandelt.

Auch Luxuslabels setzen auf Sneaker 

Von der Straße haben Turnschuhe ihren Weg auf die Laufstege in Berlin, New York, Paris oder London gefunden. So designte Karl Lagerfeld, der einmal sagte, wer eine Jogginghose trage, habe die Kontrolle über sein Leben verloren, bereits vor ein paar Jahren einen Sneaker für Chanel. Turnschuh statt High Heel – so sollten junge Kunden früh an die Marke gebunden werden.

Professor Wolfgang Potthast von der Deutschen Sporthochschule Köln ist Biomechaniker und erforscht seit vielen Jahren, wie Turnschuhe funktionieren. Er sagt: „Wir dürfen keine Wunder erwarten. Schaut man auf die Verletzungszahlen der letzten Jahre, sehen wir, dass all die Innovationen bei Sportschuhen weder etwas verschlechtert, aber auch nichts verbessert haben.“ Also ist es egal, was wir an den Füßen tragen? Nein, so Potthast. „Falsche Schuhe können Schaden anrichten.“ Beim Kauf rät er vor allem, auf gute Passform und hochwertige Verarbeitung zu achten. Weil sich meist erst beim Sport zeigt, wie gut ein Schuh wirklich sitzt, bieten viele Händler und Hersteller eine verlängerte Umtauschfrist an und nehmen sogar getragene Schuhe zurück. Wen Fersensporn, ­Achillessehnenentzündung oder Knieschmerzen plagen, der sollte mit einem Sportmediziner reden. „Einlagen, die im Sporthandel verkauft werden, sind häufig keine gute Lösung“, so Potthast. ­Verkäufern mangele es meist an orthopädischem oder biomechanischem Wissen. „Einlagen oder Fersenkeile greifen in den Bewegungsapparat ein, da kann man viel Schaden anrichten.“

Louis Vuitton engagierte deshalb den amerikanischen Designer Virgil Abloh. Der ­hatte mit seinem eigenen Label Off-White schon große ­Erfolge und wird von seinen vielen Teenager-Fans ­verehrt wie ein Gott. Dem aktuellen Trend folgend sind die von ihm designten Schuhe schlicht – und sehen aus, als könnte man damit sogar Sport ­treiben. Auch Prada glaubt an den ­Erfolg der ­neuen Sportlichkeit und brachte mit Adidas ein Sneaker-Modell auf den Markt. Und Dior macht ­seinem Ruf als teures Luxuslabel alle Ehre. Gemeinsam mit Nike lanciert das Unternehmen in diesem Jahr eine Sonder­edition des „Air Jordan“ – limitiert auf vermutlich 1000 Stück und zu einem Preis von rund 2000 Dollar.

Der Schweizer David Allemann gründete vor zehn Jahren in Zürich die Marke On

In einer ganz anderen Kategorie bewegt sich der Schweizer Laufschuhhersteller On, bekannt für seine charakteristischen Sohlen aus aufgereihten Plastikschlaufen. „Das ist eine komplett neue Form der Polsterung“, sagt On-Mitgründer David Allemann. „Wir sind in vielen Märkten die am schnellsten wachsende Laufschuhmarke.“ Vor Kurzem ist Tennisstar Roger Federer in das Unternehmen eingestiegen.

Auf der Atmos Con steht der kleine weiße Stand von On direkt neben dem von Adidas. On präsentiert den „Cloud Hi Edge“, seinen ersten speziell für die Freizeit entworfenen Sneaker. David ­Allemann erklärt: „Er hat die Sohle, mit der Top-Athleten ­Rekorde laufen, aber ist für den Alltag­ ­gemacht.“

Der Andrang am Stand ist groß. Auch Shu Asaoka schaut sich die Schuhe genau an. „Ich kannte die Marke bisher nicht“, sagt er. Lange hält er sie in der Hand, dreht sie, wendet sie, greift hinein und hält sie in die Höhe. Dann sagt er: „Ich glaube, ich muss noch ein drittes Paar loswerden, damit auch diese hier Platz bei mir zu Hause haben.“

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