Coronavirus

Seit knapp neun Monaten leben wir nun schon im Ausnahmezustand. Was manchem anfangs noch spannend und neu erschien, ist inzwischen fast schon Gewohnheit – oder quälende Notwendigkeit. Wissenschaftler des Hamburg Center for Health Economics (HCHE) haben Menschen in sieben europäischen Ländern immer wieder befragt, wie es ihnen in der Coronakrise geht.

Die erste Befragung fand bereits im April statt, die letzte vom 5. bis zum 16. November. Die Ergebnisse der vierten Befragungsrunde zeigen, wie sich die Stimmung über die Zeit gewandelt hat, was den Menschen zunehmend Angst macht, wie sie die Maßnahmen beurteilen und zu einer Impfung stehen.

Aus den Antworten geht aber auch hervor, dass viele Menschen trotz Angst vor dem Virus die Zuversicht nicht verlieren. Ein Überblick.

1. Die Impfbereitschaft stagniert auf niedrigem Niveau – eigene Gesundheit als wichtigster Faktor

Die Covid-19-Impfbereitschaft der Deutschen hat abgenommen: Nur 57 Prozent der Befragten gaben an, sie seien bereit, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Bei der ersten Befragung im April waren es noch 70 Prozent, im Juni 61 Prozent.

»Eigentlich hätten wir erwartet, dass die Impfbereitschaft noch weiter sinkt«, sagt Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg, wissenschaftlicher Direktor am HCHE. »Doch sie ist im Vergleich zur letzten Befragung im September gleich geblieben.« Es sehe so aus, als sei nun ein Plateau erreicht.

Auffällig sei dabei, dass die Impfbereitschaft vor allem in den Gruppen mit niedrigerem Bildungsniveau und geringerem Einkommen stark gesunken sei. 63 Prozent der Menschen mit hohem Bildungsniveau sind der Umfrage zufolge weiterhin bereit, sich gegen Sars-CoV-2 impfen zu lassen (April: 75 Prozent). Bei den Menschen mit niedrigem Bildungsniveau sind es nur 49 Prozent (April: 66 Prozent). Ähnlich stark driften die Angaben beim Einkommensniveau auseinander: 61 Prozent der Menschen mit hohem Einkommen würden sich impfen lassen (April: 76 Prozent) und 53 Prozent der Menschen mit niedrigem Einkommen (April: 67 Prozent).

»Da müssen wir anknüpfen und dafür sorgen, diese Menschen zu erreichen«, sagt Schreyögg. »Das ist aus meiner Sicht einer der wichtigsten Aspekte der kommenden Monate: eine Impfkampagne, die zielgruppenadäquat ausgerichtet ist und mit einfachen Botschaften überzeugt.« Als Beispiele nennt er Werbung an Bushaltestellen, die etwa verdeutlicht, wie selten Nebenwirkungen sind.


Im internationalen Vergleich gehöre Deutschland eher zu den Impfskeptikern, sagt Schreyögg. Das zeigt sich auch an den Zahlen: In Großbritannien waren 69 Prozent der Befragten bereit, sich impfen zu lassen, in Dänemark sogar 71 Prozent. »Das ist eine kulturelle Sache«, sagt Schreyögg.

Als Gründe, aus denen sie sich impfen lassen würden, gaben acht Prozent der befragten Frauen den eigenen Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus an, und zehn Prozent der Männer. Acht Prozent der Frauen und acht Prozent der Männer gaben an, Familienmitglieder vor einer Ansteckung schützen zu wollen. Sechs Prozent der Frauen und sieben Prozent der Männer wollen mit der Impfung den durch die Pandemie verursachten Kreislauf von Shutdowns und Beschränkungen unterbrechen. Nur jeweils drei Prozent wollen sich impfen lassen, um die wirtschaftlichen Auswirkungen für sich selbst zu verringern.

»Das war so erwartbar«, sagt Schreyögg. »Denn eine Form der Krisenbewältigung ist es, sich zuerst etwas zu suchen, was einem nahe liegt, zum Beispiel den Schutz der eigenen Familie oder der eigenen Gesundheit.«

2. Weihnachten ja, Urlaub nein

Im November fragten die Forscherinnen und Forscher die Teilnehmenden erstmals, wie optimistisch sie in die nächsten Monate blicken. »Dass die Menschen in Bezug auf so viele Aspekte doch relativ positiv gestimmt sind, hat mich besonders überrascht«, sagt Schreyögg. In Deutschland befürchten nur wenige, dass ihre Beziehung zerbricht, sie ihren Job oder ihr Geschäft verlieren oder ihre psychische Gesundheit stark leidet.

Deutlich differenzierter sind die Antworten bei den Dingen, die man selbst kaum beeinflussen kann. Viele Befragte bezweifeln zwar, dass sie in den nächsten sechs Monaten verreisen können. Mit Blick auf Weihnachten sind sie jedoch deutlich optimistischer: Ein Großteil rechnet damit, mit seiner Familie feiern zu können.

Rund ein Drittel zeigt sich sogar sehr oder zumindest mäßig optimistisch, in den nächsten sechs Monaten wieder zu einem »normalen Leben wie vor Covid-19 zurückzukehren«. Expertinnen und Experten sehen das deutlich pessimistischer. Der Gründer des Impfstoffunternehmens Biontech etwa erwartet eine Rückkehr zur Normalität erst Ende nächsten Jahres – falls sich bis dahin viele Menschen haben impfen lassen.

Sind die Deutschen in diesem Punkt sogar zu zuversichtlich?

»Viele wollen daran glauben, dass in den nächsten sechs Monaten wieder alles gut wird, vielleicht ist das auch ein Schutzmechanismus der Psyche«, sagt Schreyögg. Als Teil einer Bewältigungsstrategie sei es außerdem wichtig, Ziele zu setzen, die nicht so weit in der Zukunft liegen. »Das machen gerade sehr viele Regierungen so: Sie sagen, jetzt muss man durchhalten und Weihnachten kann man dann wieder optimistisch sein.«

Trotz der positiven Tendenz zeigen die Daten auch, dass Warnungen etwa vor psychischen Folgen ernst genommen werden müssen: Zwar äußerten sich 36 Prozent der Befragten mit Blick auf ihre psychische Gesundheit sehr positiv. Neun Prozent gaben jedoch auch an, überhaupt nicht optimistisch zu sein. Das ist immerhin fast jeder Zehnte.

3. Unterstützung der Maßnahmen ist größer, als man meint

Der Mensch ist ein soziales Wesen, daran wird auch die Pandemie nichts ändern. Umso schwerer fällt es den meisten, nach einem Frühjahr auf Abstand noch einmal die Kontakte drastisch zu reduzieren. Viele Befragte sehen jedoch die Notwendigkeit und unterstützen die strengen Maßnahmen ihrer Regierung.

»Die Akzeptanz ist in Europa noch ziemlich hoch, egal wie hart die Maßnahmen sind«, sagt Schreyögg. »Es gibt aber in allen Ländern das Phänomen, dass sich wenige Leute total verweigern – die aber sehr präsent sind in der Öffentlichkeit.« Der Studie zufolge ist diese Gruppe im Laufe der Pandemie nicht größer geworden. Verschiebungen habe es eher bei den Menschen in der Mitte gegeben: Die stimmen den Maßnahmen nicht mehr voll zu, hielten sie aber noch für okay, sagt Schreyögg.

In Deutschland gaben Anfang November 65 Prozent der Befragten an, dass sie den geltenden Teil-Shutdown vollständig oder eher befürworten. Nur neun Prozent lehnten ihn vollständig ab.

Die Daten können zwar nur die Stimmung im Moment der Befragung einfangen. Sie stammen jedoch aus einer Zeit, in der in Deutschland gerade wieder Hotels, Restaurants, Zoos und Theater schließen mussten und neue Kontaktbeschränkungen eingeführt wurden.

4. Vertrauen ins Gesundheitssystem – aber Sorge um die eigene Gesundheit

Im Frühjahr galt der Leitspruch »Flatten the Curve«: Die Infektionszahlen sollten eingedämmt werden, damit das Gesundheitssystem nicht überlastet und damit die medizinische Versorgung in Gefahr gebracht werden könnte. Und das hat funktioniert: In einigen europäischen Nachbarländern sind die Zustände in Krankenhäusern deutlich dramatischer als in Deutschland.

Dazu passt, dass die Sorgen der Deutschen im internationalen Vergleich eher gering sind: In Portugal (81 Prozent) oder Italien (77 Prozent) etwa sorgen sich große Teile der Bevölkerung vor einer Überlastung des Gesundheitssystems. Schreyögg begründet das mit den Bildern der ersten Welle im Frühjahr: »Da ist Deutschland sehr glimpflich davon gekommen – im Gegensatz zu etwa Italien«, sagt er. »Die Bilder aus Bergamo haben sich eingeprägt. Dieser Schock hat dazu geführt, dass das Vertrauen dort nicht ganz so hoch ist, obwohl das Gesundheitssystem in Norditalien sehr gut ist.«

Gestiegen ist bei den Deutschen die Sorge um die eigene Gesundheit: 37 Prozent schätzten ihr Risiko für ihre eigene Gesundheit durch Covid-19 als hoch ein. Im September waren es 31, im Juni 29 Prozent. Damit liegt Deutschland im internationalen Vergleich im Mittel. Das stehe auch nicht im Widerspruch zum Vertrauen ins Gesundheitssystem, sagt Schreyögg. »Es war erwartbar, dass die Angst um die eigene Gesundheit zunimmt.«

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