Romantik oder Pragmatismus? Was Paare heute wirklich zusammenhält – und wie man eine gesunde Beziehung führt

Sie schreiben im Vorwort Ihres Buches, dass Paare vor allem in der heutigen Zeit vor großen Herausforderungen stehen. Welche sind das?

Helmut Flecks: Wir stellen immer wieder fest, dass viel zu viele Paare einfach nicht miteinander sprechen. Sie versäumen es viel zu oft, sich in der ersten Zeit ihrer Beziehung über wesentliche Themen wie Kinder, Finanzen und Zukunftspläne zu unterhalten. Und dann knallen sie damit irgendwann aneinander.

Ludwig Spätling: Die gelebte Individualität und die Geschlechts-Debatten, die wir in unserer Gesellschaft zunehmend führen, sorgen außerdem für eine gewisse Unsicherheit über die Rollenverteilung in Beziehungen. Viele Paare fragen sich, wie sie sich aufstellen sollen und was Gerechtigkeit für sie bedeuten kann. Es fehlt definitiv an Vorbildern für eine gesunde Beziehung. Unsere Elterngeneration hat noch viel klarer definierte Rollenvorstellungen gelebt.

Funktioniert Liebe ohne Romantik?

Die Aufweichung der konservativen Rollenbilder von Mann und Frau ist aber schon ein großer Fortschritt…

Spätling: Natürlich. Aber die Paare haben dadurch eine viel größere Kommunikationsaufgabe vor sich, wenn sie eine gute Partnerschaft führen möchten. Es geht darum, die eigenen Werte zu kennen und sie offen zu kommunizieren – und zwar auf beiden Seiten.

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Und wie genau funktioniert das?

Flecks: Ich glaube, eine verbindliche Partnerschaft ist immer auch eine Herausforderung für die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Wenn wir uns unsere Werte und Bedürfnisse also klar machen und sie unserem Partner in einem offenen Gespräch mitteilen, dann legen wir schon einmal eine gute Basis. Abgesehen davon braucht es natürlich auch Nähe – emotional wie körperlich – und die Bereitschaft, sich eigenen Ängsten zu stellen und Kompromisse einzugehen.

Das klingt ehrlich gesagt recht nüchtern. Wo bleibt da die Romantik?

Flecks: Ohne Romantik würde niemand von uns sich so intensiv auf einen anderen Menschen einlassen, wie es für eine Partnerschaft notwendig ist. Man kann also sagen: Ohne Romantik keine Liebe. Wir brauchen im Endeffekt diese rosarote Brille des romantischen Verliebtseins, um das Risiko einer so tiefen Verbindung zu einem anderen Menschen einzugehen.

Spätling: Die Romantik gibt quasi den Anstoß für die neurobiologische Reaktionskette, die dann zum Verliebtsein und schließlich zur Liebe führt.

Wann ernste Themen auf den Tisch gehören

Trotz Romantik, so schreiben Sie es in Ihrem Buch, sollten Paare aber auch möglichst früh über ernste Themen sprechen. Wann ist dafür der beste Zeitpunkt?

Spätling: Das ist natürlich höchst individuell. Am besten ist es, wenn man das Gefühl hat, die nächste Zeit miteinander verbringen zu wollen. Man muss ja keinen Zehn-Jahresplan aufsetzen, aber es hilft, sich über die Zukunftspläne und Träume zu unterhalten. Wenn sie zusammenpassen, dann verbindet das – und wenn nicht, kann man darüber diskutieren.

Flecks: Psychologisch betrachtet gilt: so früh wie möglich. Denn sobald ich in einer Beziehung etwas zurückhalte oder Dinge bewusst nicht anspreche, wird es immer schwerer, diese Themen dann auf den Tisch zu bringen. Ich schließe damit auf Dauer auch ganze Themen von meiner Beziehung aus, was wiederum zu einer emotionalen Distanzierung führen kann. Durch das "Nicht-Erzählen" entsteht unterbewusst der Eindruck, die andere Person sei es nicht wert, dass ich mit ihr darüber spreche. Dabei steckt oft eher Angst oder Unsicherheit dahinter. Auf Dauer ist das also auch sehr schlecht für die Beziehungsdynamik.

Apropos Beziehungsdynamik. Woran erkenne ich denn eigentlich eine gesunde Partnerschaft – abgesehen von besagter offener Kommunikation?

Spätling: Wichtig sind außerdem Achtung, Wertschätzung und das Vermeiden von Kränkungen. Wenn diese Komponenten erfüllt sind, dann kann einem mit einer offenen Kommunikation und der Entscheidung füreinander nicht viel passieren.

Flecks: Vertrauen ist auch ein sehr zentraler Punkt. Und Entwicklung. Wenn Paare aufhören, aneinander und miteinander zu wachsen und sich weiterzuentwickeln, dann ist das immer ein schlechtes Zeichen. Man sollte sich gegenseitig beflügeln und positiv beeinflussen.

Zu viel Nähe kann erdrücken

Stichwort Nähe: Was ist zu viel, was zu wenig?

Flecks: Das kann man pauschal nicht sagen. Die Frage kommt aber sehr häufig von meinen Klienten. Ich glaube, der Mittelweg aus Individualität und Gemeinschaft ist am Ende am besten. Zu viel Nähe kann dafür sorgen, dass sich die Partner gegenseitig erdrücken. Wenn ich die Individualität aber nutze, um aus der Partnerschaft auszusteigen, ist das auch ungesund. Es geht also darum, im Beziehungskonstrukt man selbst zu bleiben.

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Spätling: Freiheit ist sehr wichtig. Das beginnt bei der Freizeitgestaltung und hört bei der Finanzplanung auf. Niemand sollte dem anderen Rechenschaft ablegen müssen. Es ist wichtig, eine gemeinsame Schnittmenge zu definieren. Abgesehen davon sollte es sich aber auch in einer Partnerschaft nach wie vor um zwei Individuen handeln. Dazu gehört auch, abzuklären, wie viel Nähe in der Partnerschaft gewünscht ist.

Was ein Kind mit einer Partnerschaft macht

Ein Kind bringt selbst die am besten eingespielten Paare mitunter aus dem Gleichgewicht. Wie können sich Partner darauf vorbereiten?

Flecks: Viele Väter fühlen sich nach der Geburt des Kindes erstmal vor den Kopf gestoßen. Bis dahin waren sie der wichtigste Mensch für ihre Partnerin – und jetzt ist da ein kleiner Mensch, der alle Aufmerksamkeit auf sich richtet. Es ist wichtig, dass beide Partner offen über ihre Gefühle und Bedürfnisse sprechen – und die Zweisamkeit bei all der Familienfreude nicht vergessen.

Spätling: Das Kind ist ja in der Regel ein Ausdruck der innigen Liebe zweier Menschen. Es sollte also die Partnerschaft nicht wegen des Kindes aus den Augen verloren werden – es geht bei der Erziehung ja auch um Teamwork.

Was entscheidet am Ende darüber, ob Paare zusammenbleiben?

Spätling: Ein sicheres Anzeichen für eine nahende Trennung ist, wenn die Kränkungen innerhalb der Partnerschaft überhandnehmen. Wenn der Respekt füreinander schrumpft und man vor allem die negativen Seiten des jeweils anderen sieht, dann wird es schwierig.

Flecks: Eine große Rolle spielt heutzutage auch, dass Trennungen sehr viel einfacher geworden sind. Durch die vielen Alternativen ist eine aktive Entscheidung notwendig, um in der Partnerschaft zu bleiben, die in der Regel auch mit Arbeit verbunden ist. Es gehört dazu, schwierige Zeiten gemeinsam zu durchleben und die Kraft aufzubringen, sich von all den anderen Möglichkeiten da draußen zu distanzieren – für diesen einen Menschen. Das ist, wenn man so will, wohl das größte Kompliment, das man seinem Partner machen kann.

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