Auf Twitter preist er Mao an: Wie ein fachfremder China-Fan zum deutschen Pandemie-Berater wurde
Das Corona-Strategiepapier des Innenministeriums sorgte für Wirbel. Darin wurde unter anderem empfohlen, den Bürgern Corona-Angst zu machen. Wie jetzt bekannt wird, ist der Autor dieser Passagen fachfremd und ein Befürworter der chinesischen Corona-Politik. Was bezweckte das Innenministerium damit – und wie viel „China“ steckt in der deutschen Pandemie-Politik?
Chinas Umgang mit der Corona-Politik wird scharf kritisiert. Nach dem Ausbruch in Wuhan, das als Epizentrum der Pandemie gilt, wurden Berichte darüber konsequent unterdrückt. Journalisten, Blogger oder Ärzte, die entsprechendes Material veröffentlichten, wurden festgenommen. Auch die von Chinas Machthabern übermittelten Zahlen zu Infektionsfällen und Todesopfern werden angezweifelt.
Mit Otto Kölbl wurde ausgerechnet ein China-Fan zu einem wichtigen Berater in der deutschen Corona-Politik. Kölbl ist Mit-Verfasser des umstrittenen Corona-Strategiepapiers des Bundesinnenministeriums und offenbar verantwortlich für Passagen, in denen zu einer Angst-Kommunikation und drastischen Verdeutlichung des "Worst Case"-Szenarios geraten wird.
Doch zurück zum Beginn und der Frage: Wie wurde ein fachfremder China-Fan zum deutschen Pandemie-Berater?
Corona-Papier: Kritik an "gewohnter Arroganz gegenüber China"
Kölbl ist Doktorand an der Universität Lausanne in der Schweiz. Tatsächlich war man dort von der wichtigen Rolle des 52-Jährigen in der deutschen Corona-Politik erstaunt. Eine Mail-Anfrage des Bundesinnenministeriums hielt man gar für ein Fake.
Kölbl veröffentlichte im März 2020 gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Maximilian Mayer ein Papier mit dem Titel "Von Wuhan lernen – es gibt keine Alternative zur Eindämmung von Covid-19". Ihre Empfehlung: Ein streng autoritärer Ansatz zur Bekämpfung der Pandemie mit Beispielen aus China. Westliche Führer, Experten und Medien werden dagegen für ihre "gewohnte Arroganz gegenüber China" kritisiert.
Den Autoren ist es nach Recherchen der "Welt am Sonntag" gelungen, das Papier in österreichischen und deutschen Regierungskreisen zu lancieren, auch an Schweizer Epidemiologie-Institute sei es verschickt worden.
Daraufhin schritt die Uni Lausanne ein. Sie forderte Kölbl auf, die Universitäts-Mailadresse nicht für seine Privatzwecke zu verwenden. Auch auf seinen eigentlichen Job neben der Doktorandenstelle sei hingewiesen worden. Kölbl ist demnach ein "zu 30 Prozent beschäftigter, extern finanzierter Prüfer der Goethe-Sprachprüfungen für Deutsch an der Section d’allemand".
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Uni reagiert: "Wir halten diese Nachricht für nicht glaubhaft"
Kölbls Intention schien klar: Eine Universitäts-Mailadresse verleiht dem Papier eine höhere Glaubwürdigkeit. Und das Vorhaben schien aufzugehen: Nur zwei Wochen nach Veröffentlichung des Papiers am 4. März wurden Kölbl und Mayer von Horst Seehofers Bundesinnenministerium in einen Expertenrat berufen, der die weitere Corona-Politik der Bundesregierung in einem Strategiepapier erarbeiten sollte.
Der Germanist und Teil-Sprachprüfer Kölbl arbeitete nun an der Seite von etwa RKI-Chef Lothar Wieler. Dem fachfremden Österreicher wollte man offenbar ein wissenschaftliches Standing verschaffen – und erreichen, dass er seine Universitäts-Mailadresse wieder verwenden darf. Staatssekretär Markus Kerber setzte sich nach "Welt"-Informationen persönlich bei der Universität Lausanne für Kölbl ein.
Die Universität reagierte demnach überrascht und hielt die Mail-Anfrage zunächst für ein Fake. Universitäts-Dekan Dave Lüthi habe geantwortet: "Als Anlage erhalten sie eine E-Mail, die wir vermeintlich von Ihnen erhalten haben. Wir halten diese Nachricht für nicht glaubhaft und bitten Sie daher um Bestätigung." Auch auf Kölbls Arbeit als Sprachprüfer sei erneut hingewiesen worden.
Das Innenministerium soll der Uni daraufhin die Echtheit bestätigt haben. Zweifel an den wissenschaftlichen Fähigkeiten Kölbls kamen offenbar nicht auf. Obwohl Kölbl seine China-Ansichten ganz offen vertritt. Auf seiner Webseite und via Twitter äußert er sich regelmäßig positiv über den umstrittenen ehemaligen chinesischen Herrscher Mao Zedong, der in China weitgehend verehrt und im Westen als brutaler Diktator kritisiert wird. Auch gegen westliche Medien hetzt Kölbl regelmäßig.
Corona-Strategiepapier: "Worst Case"-Szenario verdeutlichen
Zum Zeitpunkt des Mailverkehrs war das Strategiepapier des Innenministeriums allerdings bereits verfasst und als vertraulich eingestuft worden. Das interne Papier sorgte Ende März für Wirbel – insbesondere als einige Wochen später die dort beschriebenen drastischen Vorschläge zur Krisenkommunikation bekannt wurden (FOCUS Online berichtete).
So wird empfohlen, den "Worst Case" zu verdeutlichen. Wörtlich heißt es darin etwa: "Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden." Drei konkrete Beispiel-Szenarien werden dabei genannt.
Erstens würden viele Schwerkranke von ihren Angehörigen "ins Krankenhaus gebracht, aber abgewiesen und sterben qualvoll um Luft ringend zu Hause. Das Ersticken oder nicht genug Luft kriegen (sic) ist für jeden Menschen eine Urangst. Die Situation, in der man nichts tun kann, um in Lebensgefahr schwebenden Angehörigen zu helfen, ebenfalls."
Zweitens empfiehlt das Papier sogar, Kindern Angst zu machen. "Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern", heißt es in dem Text. "Wenn sie dann ihre Eltern anstecken und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann."
Drittens wird vorgeschlagen, an mögliche Langzeitschäden zu erinnern. "Auch wenn wir bisher nur Berichte über einzelne Fälle haben, zeichnen sie doch ein alarmierendes Bild", heißt es in dem Bericht. "Selbst anscheinend Geheilte nach einem milden Verlauf können anscheinend jederzeit Rückfälle erleben, die dann ganz plötzlich tödlich enden, durch Herzinfarkt oder Lungenversagen, weil das Virus unbemerkt den Weg in die Lunge oder das Herz gefunden hat. Dies mögen Einzelfälle sein, werden aber ständig wie ein Damoklesschwert über denjenigen schweben, die einmal infiziert waren."
Brisant ist nun: Diese Passagen wurden laut "Welt" von Kölbl verfasst. Er bestätigt der Zeitung: "Und ich bin auch der Meinung, dass alles, was dort steht, korrekt ist. Es ist einfach die Realität, in Wuhan ist genau das passiert."
Corona-Strategiepapier: Merkel und Spahn nicht sonderlich begeistert
Warum das Innenministerium auf Kölbl setzte, ist unklar. Vielleicht schätzten sie ihn trotz mangelnder Fachkenntnisse als China-Experten ein und wollten vom Vorgehen der chinesischen Regierung etwa in Wuhan lernen. China sperrte dort Millionen Menschen in ihre Wohnungen – das Vorgehen wurde von zahlreichen Menschenrechtsaktivisten kritisiert. Ebenfalls gewünscht war wohl eine klare und strikte Position zur Pandemie-Bekämpfung, wie sie Kölbl in seinem Papier beschreibt.
Wie viel Beachtung das Papier in Regierungszirkeln fand, ist nicht bekannt. Medienberichten zufolge sollen aber weder Kanzlerin Angela Merkel noch Gesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) von dem Papier aus dem Innenministerium sonderlich begeistert gewesen sein. Merkel bevorzugt ohnehin einen anderen Ton: In ihren Ansprachen an die Nation appelliert die Bundeskanzlerin vor allem an die Verantwortung der Bürger.
Nach Auflösen des Expertenrats ging Kölbl zurück an die Uni Lausanne. Sein Co-Autor Mayer propagiert nun die No-Covid-Strategie .
Otto Kölbl hat Germanistik, Geschichte und Anglistik studiert. Er war nach eigenen Angaben Sprachlehrer an der North-Western Polytechnical University in Xi’an in Zentralchina. Seit 2006 arbeitet er am Prüfungszentrum Goethe-Institut der Universität Lausanne. Seit 2007 forscht er unter anderem zu diesen Themengebieten: westliche Medienberichterstattung über China, westlicher akademischer Diskurs über China sowie Diskurs der westlichen akademischen Welt und Medien über Menschenrechte.
Maximilian Mayer ist Politikwissenschaftler. Vor der Pandemie war er Assistenzprofessor an der School of International Studies der University of Nottingham Ningbo China. Dann wechselte er an die Universität Bonn, wo er seitdem als Junior-Professor für Internationale Beziehungen und globale Technologiepolitik tätig ist.
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