Pharma-Riesen stellen Forschung an Antibiotika ein, weil es kein Geld mehr abwirft
Nicht profitabel genug – so einfach lässt sich begründen, warum Pharmariesen keine Antibiotika mehr entwickeln wollen. Dabei wären neue Substanzen dringend nötig, denn die Zahl multiresistenter Keime steigt. Tausende Tote könnten die Folge sein.
Eigentlich müsste die Suche nach neuen Antibiotika auf Hochtouren laufen. Denn immer mehr Keime werden resistent gegen die bereits existierenden Bakterien-Killer. Doch die Forschung auf dem Gebiet eines der wichtigsten Arzneimittel der Gegenwart schläft gerade ein: Kleine Unternehmen können den hohen Aufwand nicht stemmen. Den großen Konzernen verspricht das Antibiotika-Geschäft zu wenig Profit. Wieso das so ist, und was das für Patienten bedeutet, haben Journalisten des NDR für die Sendung „Panorama“ recherchiert. Zu sehen am 12. September, um 21.45 Uhr in der ARD.
2016 wollten noch 100 Unternehmen neue Antibiotika entwickeln
Erst 2016 hatte der Internationale Pharmaverband IFPMA eine Allianz („AMR Industry Alliance“) zum Kampf gegen Resistenzen geschmiedet. Etwa 100 Unternehmen, darunter Johnson & Johnson, Novartis, Sanofi und AstraZeneca sagten zu, in die Forschung in diesem Bereich zu investieren.
Schnee von gestern – nach den Pharmakonzernen Novartis und Sanofi sowie AstraZeneca hat nun auch der Branchenriese Johnson & Johnson bestätigt, dass sich „keine weiteren Antibiotika in der Entwicklung“ befänden. Auch die Großkonzerne Pfizer und Allergan entwickeln nach Einschätzung von Branchen-Kennern keine neuen Antibiotika-Wirkstoffe.
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Heute forschen Pharmakonzerne mit halber Kraft – oder gar nicht
Von den vier verbleibenden großen Pharmaunternehmen, die noch an der Entwicklung neuer Antibiotika arbeiten (MSD, GlaxoSmithKline, Otsuka und Roches Tochterfirma Genentech) bekamen die NDR-Rechercheure keine Antworten auf konkrete Fragen wie etwa zur Zahl der Wissenschaftler oder Höhe der Investments in diesem Bereich.
Die NDR-Recherchen zeigen, dass die Hälfte der Allianz-Mitglieder von 2016 ihre Antibiotika-Aktivitäten heruntergefahren oder eingestellt haben. Die Begründung: zu teuer in der Entwicklung und zu wenig gewinnbringend.
Geld wird mit Krebs und chronischen Krankheiten verdient
Die Entwicklungskosten von mehreren Hundert Millionen Euro und die Ausgaben für Herstellung, internationalen Vertrieb und Vermarktung können in den Augen der Industrie nicht erwirtschaftet werden. Denn die neuen Substanzen sollen so selten wir möglich zum Einsatz kommen und eher als Reserve-Antibiotika dienen – damit ihre Wirkung nicht auch gleich wieder verpufft.
Die Pharmaindustrie steckt Entwicklungsgelder daher lieber in Arzneien für chronische Volkskrankheiten oder in Hightech-Krebsmedikamente, die pro Dosis viele Tausende Euro kosten können.
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Gesellschaftliche Verantwortung versus Unternehmer-Interessen
Da kleine Unternehmen ohne andere lukrative Arzneimittel sich die teure Antibiotika-Entwicklung nicht leisten können, ist der Rückzug der Pharmagrößen in den Augen vieler Experten fatal und „nicht verantwortungsvoll“. Das sagte im „Panorama“-Interview Ursula Theuretzbacher, die als Beraterin zur Entwicklung von Antibiotika unter anderem für die Weltgesundheitsorganisation WHO arbeitet. Die Pharmaindustrie habe schließlich eine Verantwortung für die Gesellschaft.
Thomas Cueni, Generaldirektor des IFPMA und Vorsitzender der „AMR Industry Alliance“ betont dagegen, dass es keine Firma gegenüber ihren Eignern verantworten könne, in Bereiche zu investieren, wo das Risiko sehr hoch sei und die Forschung nicht erfolgreich sei – und falls doch, gäbe es kein Geld dafür.
2050 mehr Tote durch resistente Keime als durch Krebs
Angesichts der wachsenden weltweiten Resistenz-Problematik klingt die Industrie-Verweigerung zynisch. „Wir sehen, dass mehr und mehr Antibiotika ihre Wirkung verlieren“, sagt Peter Beyer von der WHO den „Panorama“-Journalisten. „Wir brauchen mehr Antibiotika-Entwicklung, damit wir nicht irgendwann einfach dastehen und nicht mehr wissen, wie wir die Infektionen behandeln sollen.“
Schon derzeit sterben in der EU jedes Jahr rund 33.000 Menschen an den Folgen von Infektionen mit resistenten Keimen, weltweit sind es Hunderttausende. Ohne eine wirksame Antibiotika-Therapie sind viele Patienten auf Intensivstationen oder Babys auf der Frühchenstation verloren. Wer geschwächt und anfällig für Infektionen ist, stirbt dann einfach – so wie vor 1940, als erstmals Penicillin als das neue Wundermittel zum Einsatz kam.
WHO und Vereinte Nationen schlagen Alarm und warnen, dass die Todeszahlen in die Höhe schnellen, falls nicht sofort gehandelt werde. Demnach könnten durch resistente Keime bis 2050 jedes Jahr zehn Millionen Menschen sterben. Das wären mehr als heute an Krebs.
Neue Antibiotika wecken Hoffnung im Kampf gegen Superkeime
FOCUS Online/Wochit Neue Antibiotika wecken Hoffnung im Kampf gegen Superkeime
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