„Lazarus-Effekt auf dem OP-Tisch: Neue Schlaganfall-Therapie bringt Durchbruch

Eine revolutionäre neue Behandlungsmethode wirkt bei einem schweren Schlaganfall sofort. Folgen wie Lähmung und Sprachstörungen verschwinden. Doch auch Telemedizin und mobile Spezialistenteams wie die Flying Doctors haben die Prognose bei Schlaganfall verbessert. Allerdings ist die flächendeckende Versorgung in Gefahr. FOCUS Online sprach mit einem Experten.

In den meisten Fällen ist ein akuter Gefäßverschluss im Gehirn die Ursache für einen Schlaganfall. Bis vor kurzem war dann die einzige Möglichkeit, durch Blutverdünnung das Gerinnsel aufzulösen und den Durchgang wieder frei zu machen. Dabei wird als Infusion das Medikament Alteplase (rt-PA) verabreicht. Diese systemische Thrombolysetherapie, abgekürzt Lyse, steht seit rund 20 Jahren zur Verfügung.

Effektive Hilfe bei schwerem Schlaganfall war bis vor wenigen Jahren unmöglich

Doch bei etwa zehn Prozent der rund 270.000 Schlaganfall-Patienten in Deutschland reicht diese Therapie nicht aus. Das ist der Fall, wenn ein schwerer Schlaganfall vorliegt, wenn also eines der sechs großen Blutgefäße im Gehirn betroffen ist.

Vermutlich kennt fast jeder von uns einen dieser Schlaganfallpatienten. Folgen wie Lähmungen, Störungen bei der Sprache, dem Schlucken, Hören sowie dem Gleichgewichtssinn bleiben bei ihnen oft für immer bestehen, manche Patienten überleben den schweren Schlaganfall nicht.

Durchbruch in der Schlaganfall-Therapie

„Dies hat sich mit einer neuen, revolutionären Therapieoption stark verbessert“, sagt Helmuth Steinmetz, Direktor des Zentrums für Neurologie und Neurochirurgie an der Uniklinik Frankfurt und Vorstandsmitglied der Deutschen Schlaganfallgesellschaft.

Die Rede ist von einem mechanischen Entfernen des Thrombus. Über einen Spezial-Katheter wird der Pfropfen einfach aus dem Gefäß gezogen. Der Fachbegriff für diese Behandlung lautet Thrombektomie. Ihre Wirksamkeit ist seit 2015 bewiesen. „Wie beim Herzinfarkt wird dabei über die Leistenarterien ein Katheter eingeführt – bis in den Schädel zum Gefäßverschluss“, erklärt der Professor das Vorgehen. Der Thrombus wird dann mit Spezialwerkzeugen geborgen und über einen Hohlkatheter abgesaugt.

Thrombektomie ist in 90 Prozent erfolgreich

Der Behandlungserfolg tritt sozusagen sofort ein, Experten sprechen deshalb in diesem Zusammenhang auch von einem „Lazarus-Effekt“. Über 90 Prozent der Gefäße können mit Thrombektomie geöffnet werden. Der Eingriff wurde bereits mehr als 10.000mal in Deutschland in zertifizierten Zentren von spezialisierten Neuro-Radiologen durchgeführt.

Time is Brain – unterschiedliche Zeitfenster der beiden Therapien

Doch egal, wie wirksam die neue Therapie ist – auch sie ist an ein Zeitfenster gebunden, wie jede Behandlung eines Schlaganfalls. Denn „Time is Brain“ – Zeit ist nicht Geld, sondern Gehirn: Werden durch den Gefäßverschluss Teile des Gehirns zu lange von der Blutversorgung abgeschnitten, besteht das Risiko, dass sie dauerhaft absterben. So gilt für die Lysetherapie ein Zeitfenster von bis zu viereinhalb Stunden. „Bei der Thrombektomie gelten 24 Stunden als oberste Grenze“, sagt Neurologe Helmuth Steinmetz.

Telemedizin unterstützt flächendeckende Versorgung

Die Akuttherapie bei Schlaganfall wird vor allem durch 322 zertifizierte Stroke Units durchgeführt, also Behandlungseinheiten an Kliniken, die über die erforderlichen Techniken und Spezialisten verfügen. Stroke Units sollen möglichst zeitnahe und qualifizierte Behandlung garantieren.

Allerdings können nur etwa die Hälfte der Stroke Units die Thrombektomie als neue Behandlungsmethode selbst durchführen. Die Versorgung ist also noch nicht flächendeckend.

Damit Patienten am besten in ganz Deutschland von gezielter Behandlung bei einem Schlaganfall profitieren können, wurden deshalb verschiedene Projekte ins Leben gerufen. Eines davon ist etwa das Telekonsil. Wird ein Patient mit Verdacht auf Schlaganfall in eine Klinik eingeliefert, werden sofort Computer- oder Magentresonanztomografien vom seinem Gehirn angelegt. Per Videoübertragung können nun die behandelnden Ärzte mit Experten in spezialisierten Teleneurologiezentren die Therapie besprechen. In manchen Fällen muss der Patient zu dieser Therapie dann in ein anderes, größeres Zentrum verlegt werden.

Flying Doctors, die mobile Spezialeinheit

Ein weiteres Modellprojekt läuft mit den „Flying Doctors“ derzeit in Bayern. Unter der Abkürzung "FIT – Fliegende Interventionalisten" sollen spezialisierte Neuroradiologen, die eine Thrombektomie durchführen können, rasch zum Patienten gelangen.

„Welche Methode besser für den Behandlungserfolg ist – die Spezialisten kommen zum Patienten oder der Patient wird zur spezialisierten Behandlung in ein größeres Zentrum verlegt – wird man erst nach einiger Zeit sagen können“, bringt es der Experte auf den Nenner.

Deutschland bei Schlaganfalltherapie Note 1, bei Nachsorge Note 3

Eines steht jedoch heute schon fest: Die Behandlung bei Schlaganfall ist so gut wie noch niemals zuvor, „im internationalen Vergleich belegt Deutschland dabei aktuell einen Spitzenplatz“, berichtet Helmuth Steinmetz. Allerdings gäbe es noch Defizite bei der Nachbehandlung, also dann, wenn der Patient, womöglich mit Einschränkungen, wieder zu Hause selbständig leben soll.

Der Hausarzt hat dann oft nicht die Zeit, diese aufwändige Nachsorge sorgfältig zu betreiben und damit auch das Risiko eines weiteren Schlaganfalls möglichst gering zu halten.

Gezielte Nachsorge kann zweiten Schlaganfall vermeiden

Dabei wäre diese Prävention besonders wichtig, weil in vielen Fällen der zweite Schlaganfall dramatischere Folgen hat als der erste, wie eine Studie bekräftigt. Mehr als die Hälfte der Patienten muss demnach mit einer bleibenden Behinderung rechnen und rund 20 Prozent versterben. Nachsorge, Nachbehandlung und engmaschige Kontrolle von Blutdruck, Blutwerten sowie ein gesunder Lebensstil können deshalb nach einem Schlaganfall lebenswichtig sein.

Spezialisten für die Nachsorge: SANO und STROKE OWL

Deshalb wurden weitere Projekte ins Leben gerufen, etwa STROKE OWL, der sog. „Schlaganfall-Lotse“, eine Initiative der Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe. Vorerst soll das Projekt in Ostwestfalen-Lippe („OWL“) bis zu 2.000 schlaganfallbetroffene Patienten durch professionelle Schlaganfall-Lotsen betreuen. Sie beraten Betroffene und Angehörige, funktionieren als Verbindung zu Krankenkassen und Ärzten, alles mit dem Ziel, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern, Komplikationen und Risikofaktoren zu reduzieren.

Anfang 2019 soll SANO starten, entwickelt von Professor Armin Grau, Klinikum Ludwigshafen, Neurologische Klinik. Dabei handelt es sich um ein berufsübergreifendes Netzwerk aus Schlaganfallkoordinator, Hausarzt und einer Stroke Nurse, also einer geschulten Schlaganfallpflegekraft. SANO soll vorerst in 15 Regionen in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland laufen.

Schlaganfall-Therapie in Gefahr

Fazit: Behandlung und in Zukunft vermutlich auch Nachsorge des Schlaganfalls sind in Deutschland so gut wie noch niemals vorher. „Allerdings könnte sich diese ideale Situation ändern, weil die Breite der Schlaganfallversorgung in Gefahr ist“, warnt Helmuth Steinmetz. Ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts sieht nämlich vor, die Vergütung für Schlaganfallpatienten in kleineren Krankenhäusern zu kürzen.

Stroke Units von Schließung bedroht?

Was das Urteil genau bedeutet: Krankenhäuser haben bisher eine zusätzliche Vergütung für die Schlaganfallversorgung erhalten, wenn sie innerhalb von 30 Minuten reiner Transportzeit einen schwer betroffenen Patienten in eine Spezialeinheit, etwa zur Thrombektomie, verlegen konnten. Das aktuelle Urteil sieht jetzt jedoch vor, nicht mehr die reine Transportzeit zu bewerten, sondern die 30 Minuten bereits ab der Entscheidung für einen Transport zu messen.

Auf diese Weise 30 Minuten nicht zu überschreiten, wird fast unmöglich. „Vor allem kleinere, regionale Stroke Units müssten sich dann abmelden, weil die Vergütung nicht mehr adäquat wäre. Die Versorgung der Patienten ist dadurch gefährdet“, befürchtet der Experte.

Der Hintergrund für diese Gerichtsentscheidung ist kaum nachvollziehbar. Sicherlich ist es für den Patienten umso besser, je früher gezielte Therapie einsetzt. Doch immerhin ist das Zeitfenster vor allem bei der Thrombektomie mit bis zu 24 Stunden nicht so klein, dass die für eine Vergütung wichtige Zeitspanne nicht auch mal mehr als 30 Minuten betragen darf. Bleibt zu hoffen, dass die Entscheider nochmals über dieses Problem sprechen und zum Wohle des Patienten einen Entschluss fassen.

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