Welches Lebensmodell ist richtig?: Der Krieg der Mütter

„Ich würde ja keine Fotos von meinen Kindern ins Netz stellen!“

„Habt ihr sie jetzt schon impfen lassen?“

„Mit zehn Monaten in die Kita ist aber ganz schön früh!“

Mütter kennen solche Sätze. Jede von ihnen hat so einen schon gehört, gesagt oder gepostet. „Mom Shaming“ oder „Mummy Wars“ heißt das Phänomen, das aus Müttern wahlweise Furien oder Nervenbündel macht. 

Wie tief die Häme der anderen treffen kann, zeigt sich in Büchern wie „Stop Mom-Shaming“, in Podcasts oder Seminaren. In den Workshops von Plötzlich2jobs etwa können berufstätige Mütter lernen, wie sie Berufstätigkeit und Familienleben besser vereinbaren. Hinter verschlossener Tür erzählen die Teilnehmerinnen einander hier ungeschönt von ihren Erfahrungen und stellen fest, dass sie alle etwas gemeinsam haben: Seit sie Mütter sind, fühlen sie sich weniger wertgeschätzt – sowohl im Beruf als auch in der Familie – und haben alle dauerhaft ein schlechtes Gewissen. Ebenfalls sowohl dem Beruf gegenüber als auch der Familie.

Es ist ein gordischer Knoten, der sich durch die Angst vor dem Urteil der anderen noch fester zurrt. Eine Vollzeit arbeitende Mutter etwa erzählt, dass sie ihre Kinder an den Tagen, an denen „nur“ die Nanny zu Hause ist, nie zum Spielen verabredet – aus Sorge, dass die andere Mutter ihr Lebensmodell verurteilen würde. 

Es fehlt eine gewisse Lässigkeit

Was für Unbeteiligte belanglos klingen mag, trifft das Opfer direkt ins mütterliche Herz. Es fühlt sich kritisiert und beginnt augenblicklich, am eigenen Erziehungsstil zu zweifeln. Wäre man eine coole Mutter, könnte man in so einem Moment leicht die Augenbrauen hochziehen und süffisant-pastoral die Bibel zitieren: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Treffer versenkt, Ruhe auf der Spielplatzbank. 


Leider geht Frauen in dieser Lebensphase gelegentlich eine gewisse Lässigkeit ab, gerade frischgebackene Mütter sind verletzlich. Kein Wunder, sie wurden erst kürzlich bei der Geburt gefühlt auf links gedreht. Sie tragen die Verantwortung für ein eigenwilliges winziges Wesen und haben nur noch ihre Ruhe, wenn sie ihre Brüste herausholen – ein Umstand, der sich meist diametral von ihrer bisherigen Lebenserfahrung unterscheidet. 

Flüchten sie in soziale Netzwerke, sehen sie dort Bilder von lässig gestylten Kindern vor selbst geschrotetem Müsli in skandinavisch anmutenden Küchen. Subtext: Alle anderen haben ihr Familienleben perfekt im Griff. Das stimmt natürlich nicht, nur leider postet niemand, wie das Kind, das Müsli und die Küche fünf Minuten nach der Aufnahme aussehen.

Mütter sind immer schuld

Währenddessen raunt es an einem Nebenkriegsschauplatz: „Sie kann überhaupt nicht loslassen!“ oder alternativ „Die kümmert sich ja gar nicht!“. Als Gratiszugabe wird ununterbrochen das Lieblingsthema aller Mütter diskutiert: Wie viel oder wie wenig arbeitet die andere, und wie mag sich diese Entscheidung auf die Entwicklung ihres Sprösslings auswirken? Die Antwort ist immer gleich: bestimmt verheerend! 

Egal ob eine Mutter zu Hause bleibt oder in ihren Fulltime-Job zurückkehrt, ob sie in Teilzeit arbeitet oder sich selbstständig macht – jede ihrer Ambitionen wird in den Argusaugen irgendeiner anderen Mutter fatale Folgen für die psychische Gesundheit der Kinder haben. Moment: Wenn der kleine Maximilian in 35 Jahren nicht Abteilungsleiter der örtlichen Kreissparkasse wird, liegt es wirklich daran, dass seine Mutter freitags aus Zeitgründen immer Tiefkühlpizza aufgebacken hat, anstatt frisch und saisonal zu kochen?

Ungebetene Ratschläge von allen Seiten

Doch auch wenn es absurd klingt, erzielt das Mom Shaming seine Wirkung. Schuld an diesem Drama ist aber nicht einfach eine böse Mutter-Mafia. Andere Mütter für diesen Krieg zu verurteilen, wäre nur ein Fortsetzen ihrer Strategie. Das Problem sitzt tiefer: Frauen werden hierzulande zum Allgemeingut, sobald sie schwanger sind. Jeder und vor allem jede gibt ungefragt Ratschläge.

Das wird nicht besser, wenn das Baby da ist: Frischgebackene Großmütter glorifizieren überholte Erziehungsmethoden („Du darfst es nicht verwöhnen!“), die in starkem Kontrast zur Attachment-Parenting-Strategie der Hebamme stehen („Bloß nicht schreien lassen!“). Mütter lesen über unzureichende Personalschlüssel in Kitas und wissen gleichzeitig, dass sie schnell wieder ins Hamsterrad der Berufstätigkeit zurückkehren müssen, um der Altersarmut zu entkommen. 



Aus all diesen Gründen sind Mütter so verunsichert, dass sie das Bedürfnis haben, ihr bewusst gewähltes oder aus der Not geborenes Lebensmodell zu rechtfertigen. Das geht leider am einfachsten, indem man alle kritisiert, die es anders machen.

Mom Shaming ist deshalb kein Kampf gegen andere Mütter, es ist der Versuch, die eigenen Zweifel zu besiegen. Wer andere Mütter verurteilt, hadert womöglich mit seiner Existenz oder ist schon lange mit den Nerven am Ende. Darum fühlt sich der Moment, in dem die andere schlechtgemacht wird, so gut an. Das ist nachvollziehbar, hilft uns allen aber nicht weiter. 

Ein Hoffnungsschimmer: Väter

Die Autorin und Familientherapeutin Katharina Pommer kennt das Phänomen. In ihrem aktuellen Buch „Stop Mom-Shaming“ erzählt sie, wie sie als fünffache Mutter zum perfekten Opfer anderer Mütter wurde. Heute verhilft sie ihren Klientinnen zu mehr Gelassenheit und Selbstvertrauen und wünscht sich eine gesellschaftliche Akzeptanz von Müttern.

„Die ganze Welt erlebt durch Corona etwas, womit Mütter sich schon immer täglich auseinandersetzen müssen“, schreibt Pommer. „Es geht um Ängste, Unsicherheiten, wirtschaftliche Einbußen, Statusverlust und soziale Isolation. Mütter müssen sich zurücknehmen, überlegen, was sie essen, wo sie hingehen können und wohin besser nicht mehr, sie verzichten oft auf ihre Karriere. Jene, die auf die Sorgen der Mütter früher leichtfertig antworteten, dass es ja ohnehin Mutterschutz und Elterngeld gibt, wissen nun hoffentlich, dass das nicht reicht.“

30.09.2020 17.51 Uhr

Die Anerkennung von Müttern ist ein hehres Ziel, dabei würde schon Toleranz hier weiterhelfen. Ein paar Vorschläge – ja, sie sind nicht neu, aber sie scheinen im Alltag bei vielen immer wieder in Vergessenheit zu geraten:

  • Jeder von uns könnte kommentarlos alle Entscheidungen akzeptieren, die eine Mutter für sich und ihren Nachwuchs trifft. Vermutlich kennt sie sowohl sich selbst als auch ihre Kinder besser als jeder andere.

  • Ein wichtiger Schritt wäre, ehrlich über die eigenen Sorgen zu sprechen und sich gegenseitig zu helfen, anstatt sich das Leben schwer zu machen. Doch wer gibt unter Müttern schon als Erste zu, dass sie nicht alles im Griff hat?

  • Ein weiterer Hoffnungsschimmer sind Väter, die genauso viel Verantwortung für die Kinder übernehmen wie die Mütter. Damit entlasten sie diese nicht nur, sie bringen auch eine andere Haltung ins Spiel: Denn viele Männer begreifen gar nicht, warum die Frauen mit sich selbst und anderen so hart ins Gericht gehen. Diese sehr erfrischende Einstellung setzt sich umso schneller durch, je mehr Väter auf Elternabenden, Spielplätzen und in Kinderarztpraxen unterwegs sind.

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