Mein liebes Tagebuch
Das Auf und Ab der Spahnschen Ankündigungen bleibt uns erhalten. Letzte Woche noch kostenlose Tests für alle, diese Woche pfeift das Corona-Kabinett den Gesundheitsminister zurück: Darüber müsse erst noch beraten werden. Lichtblick mit Trübung: Die ersten Corona-Schnelltests für Laien sind zugelassen — sie liegen bald beim Discounter in der Schütte (und in der Apotheke bei den Langsamdrehern). Spahn hofft, dass die begleitende Gebrauchsanweisung jeder versteht. Genau, mein liebes Tagebuch, und zur Not kann man ja die Kassiererin des Supermarkts fragen. Vielleicht kommt dafür der AstraZeneca-Impfstoff schon bald in den Apotheken-Kühlschrank? Und nicht vergessen: Efluelda-Grippeimpfstoff ordern, sonst gibts im Herbst ein Desaster.
22. Februar 2021
„Kostenlose Antigen-Schnelltests für alle! Ab 1. März!“ – das war Spahns Ankündigung in der letzten Woche. Klang ein bisschen wie Milch und Honig für alle im Paradies. Wie fein, mein liebes Tagebuch, doch da war unser Bundesgesundheitsminister wohl ein bisserl vorgeprescht. Das Corona-Kabinett unter Leitung der Bundeskanzlerin hat Jens Spahn zurückgepfiffen. Man wolle das erstmal im Corona-Kabinett am 3. März besprechen und überhaupt müsse noch beraten werden, wie viele Schnelltests es für jedermann kostenlos geben solle. Also, mein liebes Tagebuch, so schnell wird’s das Paradies nicht gehen. Andererseits, mal ehrlich, es war wieder mal so eine Spahn-Ankündigung, gut gemeint, aber nicht zu Ende gedacht. Darüber hinaus stehen noch so viele Fragen im Raum, z. B. ob die 9 Euro Honorar für den PoC-Antigen-Schnelltest, den Apotheken anbieten, wohl wirklich das letzte Wort sind. Außerdem lassen sich Testzentren, wie sie z. B. auch von Apotheken eingerichtet werden, nicht über Nacht und aus dem Nichts einrichten – die Ankündigung kostenlose Tests ab 1. März ist auch vor diesem Hintergrund vorschnell gewesen. Bevor man solche vollmundigen Versprechen raushaut, wäre es besser gewesen, mal mit denen zu sprechen, die das umsetzen sollen.
Das hat er nun davon, unser Bundesgesundheitsminister: Enttäuschung auf vielen Ebenen. Mehrere Politiker, z. B. auch Michael Müller, der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz und Regierende Bürgermeister von Berlin, und der FDP-Chef Christian Lindner zeigten sich enttäuscht, dass die kostenlosen Massentests später kommen sollen als erwartet.
Und wie reagierte Spahn? Er ist da flexibel genug, einzulenken: Wichtiger als der pünktliche Start am 1. März sei, dass Bund und Länder geschlossen hinter dem Instrument der Schnelltests stünden. „Daher ist es auch vertretbar, wenn es jetzt etwas länger dauert“, zeigte er sich einsichtig. Für geplante Gratis-Schnelltests durch geschultes Personal für alle Bürger liege bereits eine Verordnung vor, „die Finanzierung dafür ist vom Finanzministerium zugesagt, die Infrastruktur im Aufbau“. Sein Wort in Gottes Ohr. Übrigens, mein liebes Tagebuch, Spahn ist sich sicher, dass das Angebot für kostenlose Schnelltests kein Chaos auslösen werde. Er verwies vielmehr auf die vielen Kommunen, die bereits Testzentren zum Teil zusammen mit Apotheken eröffnet haben. Ein Vorbild dafür sei etwa Böblingen geworden, meinte der Minister. Wie wahr, mein liebes Tagebuch, wer wissen will, was er damit meint, schaut sich das Schönbuch-Testzentrum unseres Kollegen Björn Schittenhelm an.
Man kann der EU bei der Corona-Impfstoffbeschaffung durchaus einiges vorwerfen: zu wenig, zu zögerlich, zu unentschlossen. Man kann ihr aber nicht zum Vorwurf machen, dass sie nicht vorausschauend gewesen ist, wenn man Berichten von Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) Glauben schenkt. So habe sich die EU gerade im Bereich der Abwehr von biologischen Gefahren, wie sie mit der Corona-Pandemie eingetreten, ist, schon sehr früh damit befasst und versucht, konkrete Forschung in diese Richtung anzustoßen. Allerdings hätten in diesem Fall die großen Pharma-Hersteller gebremst, heißt es in den NGO-Berichten. So habe es seitens der EU beispielsweise Pläne gegeben, „die Entwicklung und Genehmigungsmöglichkeiten für Impfstoffe gegen priorisierte Pathogene maximal möglich zu befördern – bevor ein Ausbruch auftritt“ – wird ein Vertreter der EU-Kommission in der britischen Tageszeitung „Guardian“ zitiert. Und laut NGO-Berichten wollte die EU schon 2017 ein Forschungs-Förderungsvorhaben beantragen, Impfstoffe insbesondere gegen Coronaviren zu entwickeln. Aber Vertreter der Pharmaindustrie hätten dies abgelehnt, man habe die EU-Forschungsgelder eher für kommerziell rentablere Projekte genutzt. Mein liebes Tagebuch, besser als die ZDF-Kabarettsendung „Die Anstalt“ kann man die Pharma-Ignoranz wohl nicht auf den Punkt bringen: „Die Industrie hatte kein Interesse, obwohl die EU ihr alles bezahlt hätte.“
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