Medizinalcannabis: Künftig nur noch in Ausnahmefällen?

Droht schwer kranken Patienten eine deutlich schlechtere Versorgung mit medizinischem Cannabis? Diese Gefahr sehen zahlreiche Verbände, Patientenvertreter und Apotheker, die sich für Medizinalcannabis einsetzen. Sie verweisen auf Pläne des Gemeinsamen Bundesausschusses, welche den Einsatz als schmerzlinderndes Arzneimittel stark einschränken würden. Das Verfahren läuft allerdings noch, somit ist das letzte Wort nicht gesprochen. Ein Beschluss soll „Anfang dieses Jahres“ fallen.

„Es besteht die Gefahr, dass schon bald wieder viele schwerstkranke Patient: innen in den Schwarzmarkt zurück gezwungen werden“ – mit diesen Worten haben vor einigen Wochen mehrere Fachverbände von Patienten, Ärzten, Apothekern und Herstellern von medizinischem Cannabis auf einen Richtlinienentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zum zukünftigen Umgang mit Cannabis als Medizin reagiert. Ihr Vorwurf: Der G-BA beabsichtige, mit seinem Entwurf Cannabis-Blüten nicht länger als Arzneimittel anzuerkennen und zu bezahlen. Die Produkte sollten nur noch in Ausnahmefällen genehmigt werden. Vor allem für Kassenpatienten würde der Zugang zu cannabisbasierten Medikamenten deutlich eingeschränkt.

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Der G-BA ist das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Er bestimmt, welche medizinischen Leistungen Versicherte beanspruchen können. Der G-BA wird von den vier großen Selbstverwaltungsorganisationen im Gesundheitssystem gebildet. Dazu zählen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband).

Verordnung nur nach besonderer Begründung

In dem Ende Oktober 2022 vorgelegten Richtlinienentwurf des G-BA wird unter anderem vorgeschlagen, dass getrocknete Cannabisblüten nur noch nach besonderer Begründung verordnet und erstattet werden dürfen. Gleichzeitig wird die Position vertreten, dass es zukünftig nur noch bestimmten Fachärzten erlaubt sein soll, Rezepte für cannabisbasierte Medikamente auszustellen. Hausärzte wären bei der Versorgung von Patienten damit außen vor. Darüber hinaus würden zahlreiche und zusätzliche bürokratische Hürden empfohlen, die das Verordnen von Cannabis weiter erschwerten.

Eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie im Hinblick auf den Einsatz von Medizinalcannabis war nach Ansicht der Deutschen Cannabis Akademie zwar zu erwarten. Dass diese so belastend für Patienten und Ärzte sein würde, sei jedoch „ein Schlag ins Gesicht aller, die sich damit befassen.“ 

Nach Einschätzung der Verbände, die eine gemeinsame Stellungnahme eingereicht haben – darunter der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA) – widersprechen die vom G-BA gegebenen Empfehlungen den Zielen und dem Willen des Gesetzgebers, die er mit dem Cannabis-als-Medizin-Gesetz seit 2017 verfolge. Damit sei damals der Weg für Therapien mit Cannabis in der Breite geöffnet worden und habe bis heute mehreren zehntausend Patienten mit schweren Krankheiten eine deutliche Steigerung ihrer Lebensqualität ermöglicht.

Zurück in die Illegalität

Sollten die Pläne, wie sie Teilen des G-BA vorschweben, umgesetzt werden, würden Patienten im schlimmsten Fall zurück in die Illegalität gedrängt oder müssten ihre Therapie abbrechen, wenn sie nicht in der Lage seien, die Kosten dafür selbst zu tragen. Zudem seien die vorgeschlagenen Neuregelungen – mit Blick auf die geplante Legalisierung von Cannabis als Genussmittel – ein Schlag ins Gesicht der Patienten, die seit Jahren erfolgreich mit cannabisbasierten Medikamenten behandelt würden. Während darüber debattiert werde, Cannabis zu legalisieren, da die Gefahren für die Gesundheit durch den Schwarzmarkt mit den dazugehörigen Risiken zu groß seien, würden Patienten im schlimmsten Fall genau in diesen Schwarzmarkt beziehungsweise zum Eigenanbau gezwungen. 

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Die Kritiker der G-BA-Pläne verweisen außerdem darauf, dass die Pläne zur neuen Richtlinie auf den Erkenntnissen einer Begleiterhebung fußen, welche einerseits nicht als wissenschaftliche Studie verstanden werden dürfe und andererseits nur einen Bruchteil der Patienten abbilde und damit nicht repräsentativ sei. 

Die Berliner Apothekerin Melanie Dolfen erhebt zudem den Vorwurf, insbesondere die Krankenkassen wollten damit den Zugang zu Medizinalcannabis drastisch einschränken: „Sie machen das klammheimlich. Das ist ein Coup“, so die Inhaberin der Bezirksapotheken in Berlin Mitte und Friedrichshain, zu deren Schwerpunkten Medizinal-Cannabis zählt. Insgesamt, so die Kritiker des Richtlinienentwurfes, stehe Deutschland vor einer „Rolle rückwärts“ bei Medizinalcannabis.

Beschluss noch Anfang dieses Jahres

Bis zum 30. November 2022 hatten Verbände und Institutionen aus dem Gesundheitswesen die Möglichkeit, Stellungnahmen zu dem Entwurf einzureichen. Auf Anfrage der DAZ teilt die Pressestelle des G-BA mit, dass 24 Stellungnahmen eingegangen seien, darunter vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), der Bundesvereinigung deutscher Apothekerverbände (ABDA) ebenso wie des Deutschen Zentralvereins Homöopathischer Ärzte, der Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte oder der Gesellschaft für Phytotherapie. Die eingegangenen Stellungnahmen seien vom Unterausschuss Arzneimittel ausgewertet worden. Anschließend habe eine mündliche Anhörung stattgefunden. 

Die Stellungnahmen wie auch die Auseinandersetzung des G-BA damit werden nach Angaben der Pressestelle erst nach Beschlussfassung veröffentlicht. Der G-BA sei „bemüht“, noch „Anfang dieses Jahres“ einen Beschluss zu fassen. Allerdings stehe das Thema bislang weder für die Sitzungen am 19. Januar noch am 2. Februar auf der Tagesordnung. Nach der abschließenden Beratung und Beschlussfassung im Plenum werden der gefasste Beschluss und die „tragenden Gründe“ auf der Website veröffentlicht. Zudem gingen beide Dokumente an die Rechtsaufsicht, das Bundesgesundheitsministerium (BMG). Sofern das BMG keine rechtlichen Einwände habe, könne der Beschluss im Bundesanzeiger veröffentlicht werden und damit in Kraft treten.

Vdek: Systembruch zulasten der Solidargemeinschaft

Der GKV-Spitzenverband gibt sich auf Anfrage der DAZ zugeknöpft. Zum Vorwurf, die Krankenkassen wollten den Zugang zu Medizinalcannabis einschränken, nimmt Sprecher Jens Ofiera keine Stellung. Im Übrigen würde man die laufenden Beratungen des G-BA nicht kommentieren. Nahezu wortgleich äußert sich der AOK-Bundesverband: kein Statement. Lediglich der Verband der Ersatzkassen (vdek) äußert sich auf DAZ-Anfrage: Mit der Versorgung der Versicherten mit medizinischem Cannabis im Jahr 2017 habe ein „Systembruch der Arzneimittelversorgung in der GKV“ stattgefunden.

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Bei einer dauerhaften Implementierung der Abgabe von medizinischem Cannabis zulasten der Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten fordern die Ersatzkassen, dass medizinisches Cannabis „zwingend den vorgeschriebenen Bewertungsprozess für Arzneimittel durchlaufen“ müsse. Solange dem nicht so sei, könnten die gegenwärtig vom G-BA zu treffenden Entscheidungen zur weiteren Implementierung von medizinischem Cannabis „nur einen befristeten Übergangscharakter haben“. Zudem müsse die „Verordnungshoheit“ auf dafür qualifizierte Ärzte begrenzt werden und der Genehmigungsvorbehalt der gesetzlichen Krankenkasse sei weiter festzuschreiben. Im Übrigen sei die Therapie mit medizinischem Cannabis „grundsätzlich zeitlich zu begrenzen“, auch dürfe die Genehmigung einer Therapie nur vom erstverordnenden Arzt vorgenommen werden, um ein „Ärztehopping mit zeitgleicher Mehrfachverordnung zu verhindern“. Schließlich sei die Therapie mit medizinischem Cannabis auf orale Darreichungsformen zu beschränken.

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