Experten zweifeln an Strategie zu Arzneimittelengpässen
Pro Generika versammelte am Mittwoch führende Experten aus Medizin, Wirtschaft und Politik auf einer Podiumsdiskussion zum ALBVVG. Das Bundesgesundheitsministerium stand im Kreuzfeuer der Kritik. Eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa sowie ein Ende der Rabattverträge für Generika waren die zentralen Forderungen zur Bekämpfung des Notstandes.
Thomas Müller, der als Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf dem Podium saß, sah sich scharfer Kritik ausgesetzt. Er machte deutlich, dass eine vollständige Rückverlagerung der Produktion von Antibiotika und anderer knapper Medikamente in die EU unrealistisch sei. Stattdessen strebe man eine Rückführung von 50 Prozent der Generika-Produktion in den Raum der EU bzw. des Europäischen Wirtschaftsraums (EU, Norwegen, Island, Liechtenstein) an. Generika seien „machbar“ und mit einfachen Mitteln herzustellen, so Müller. Problematisch sei insbesondere das starke Missverhältnis der Preise von generischen und Patent-Arzneimitteln. Letztere seien in den letzten Jahren stark im Preis gestiegen, während Generika zu Minimalpreisen vertrieben werden. Hier müsse eine angemessene Balance gefunden werden.
Auch Susanne Dolfen, Fachbereichsleiterin Arzneimittel, AOK Sachsen-Anhalt, beklagte die hohen Preise der Patent-Arzneimittel, die das Budget für Generika auffressen würden. Sie betonte jedoch, dass es sich bei den gegenwärtigen Versorgungsengpässen keineswegs um ein allein deutsches Phänomen handele. Deutschland stehe im internationalen und europäischen Vergleich noch recht gut da, so Dolfen. Auch sei das Problem keineswegs neu, sondern spätestens seit 2017 zu beobachten. Dolfen forderte eine einheitliche europäische Strategie. National sei das Problem nicht zu lösen.
Abschaffung der Rabattverträge
Thomas Fischbach, Präsident der Bundesvereinigung der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), sah sogar die Aussetzung der Rabattverträge für Kindermedizin als ersten Schritt der Notstandsbekämpfung kritisch: Er stellte die Frage, warum in diesem Bereich überhaupt Rabattverträge abgeschlossen wurden. Schließlich habe sich Deutschland im Rahmen der UN-Kinderrechtskonvention zu einer „bestmöglichen“ medizinischen Versorgung von Kindern verpflichtet. Fischbach sieht hier einen eklatanten Widerspruch zu den bisherigen Preisobergrenzen. Jedoch entlastete er die aktuellen politischen Verantwortungsträger: „Das Problem ist systemimmanent und zieht sich durch viele Regierungsperioden.“
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Das ALBVVG ziele nur auf sehr kleine Bereiche der Generika-Produktion, beklagte Pro Generika-Vorstand Josip Mestrovic. Etwa 80 Prozent der Medikamente sind generisch. Das aktuelle Gesetz habe jedoch nur einen sehr kleinen Bereich der Generika im Fokus. Für 98 Prozent gelten weiter Rabattverträge, so Mestrovic. Die geplante Bevorratungspflicht für Produzenten sei aus Lagerkostengründen nicht realisierbar. Zudem würden wichtige ethische Fragen nicht geklärt. Sind Kinder anderen Altersgruppen gegenüber zu bevorzugen; ist die Produktion von Onkologika der Herstellung von HIV-Medikamenten vorzuziehen? Solche Fragen blieben von den Entscheidungsträgern unbeantwortet, beklagte Mestrovic.
Am Ende muss es sich rechnen
Elisabeth Stampa, CEO von Medichem S.A., äußerte sich ähnlich. BMG-Abteilungsleiter Müller hielt sie entgegen, dass Generika keinesfalls „einfach“ herzustellen seien. Die Lieferketten seien vielmehr lang und komplex. Die technischen Produktionskapazitäten für Arznei seien zudem auf bestimmte Chargen ausgerichtet. Aus diesen Gründen sei eine kurzfristige Steigerung der Produktion nicht ohne weiteres möglich, so Stampa. Sie betonte die fehlende Rentabilität für Generika-Produzenten. Teilweise lägen die Verkaufspreise unterhalb der Produktionskosten. Gegenwärtig würde sie keinem Unternehmer raten, in die Produktion von Generika in der EU zu investieren. Darüber hinaus sieht Stampa es als Heuchelei an, einerseits die Rückführung der Generika-Produktion nach Europa zu fordern, während man gleichzeitig eine Auslagerung der „schmutzigen Chemie“ in andere Regionen forciert.
Mit Ausnahme des BMG-Vertreters Müller gingen alle Beteiligten auf kritische Distanz zum ALBVVG. Thomas Fischbach brachte es auf den Punkt: Hinsichtlich des Medikamentenmangels sehe er „kein Licht am Ende des Tunnels.“
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