"Der Lockdown ist wahrscheinlich die einzige Chance, das Wintergeschäft zu retten"

Im Berchtesgadener Land das eingekehrt, wovor sich viele Deutsche fürchten: ein neuer Lockdown. In dem Hochrisikogebiet haben sich in den vergangenen sieben Tagen mehr als 290 Menschen pro 100.000 Einwohner mit dem Virus angesteckt – fast das Sechsfache vom Grenzwert des Robert Koch-Instituts. Die Konsequenz: Die Menschen dürfen ihre Wohnung nur noch aus "triftigen Gründen" verlassen. Schulen, Kitas, Freizeiteinrichtungen und Restaurants bleiben geschlossen.

Karl Weiser, der seinen echten Namen nicht im Internet lesen möchte, wohnt in der Region. Im Interview erzählt dem stern, wie er mit der Situation umgeht.

Herr Weiser, wie haben Sie die ersten beiden Tage im Lockdown erlebt?
Ich habe jetzt – leider – sehr viel Zeit. Immerhin ist viel Natur um mich herum und ich kann mit meinem Hund spazieren gehen. Ansonsten verzichte ich auf alles, was nur irgendwie geht. Die meisten Einkaufsgeschäfte sind offen, aber menschenleer. Auf der Durchfahrt sehe ich nur noch Autokennzeichen aus der nahen Umgebung. Vorhin bin ich an einem Biergarten vorbeigekommen. Strahlende Sonne, 25 Grad, normalerweise wäre dort jeder Platz restlos besetzt. Das ist tragisch für die Gastronomie. 

Was bedeuten die verschärften Regelungen für Ihren Alltag?
Der Kühlschrank ist zwar voll, aber ich bin bestimmt kein Hamsterkäufer. Doch natürlich machen sich die Einschränkungen bemerkbar: Meine sozialen Kontakte werden sicherlich schnell gegen Null fahren.

Wie denken Sie über die verschärften Maßnahmen?  
Der Lockdown im Berchtesgadener Land ist wahrscheinlich die einzige Chance, das Wintergeschäft zu retten. Ein Großteil der Wirtschaft hier und in Österreich ist vom Wintersport abhängig – nur kann sich niemand ein zweites Ischgl leisten. Die meisten Österreicher, die ich aus dieser Branche kenne, sind davon überzeugt, dass die Skisaison jetzt schon gelaufen ist. Sollten die Fallzahlen dank der Maßnahmen etwas heruntergehen, besteht vielleicht noch die Möglichkeit, wenigstens die Christkindlmärkte zu öffnen. 

Ihre Lebensgefährtin lebt in Salzburg. Sehen Sie beiden sich noch?
Das ist für mich ganz wichtig. Momentan geht es noch. Natürlich wollen wir jetzt möglichst viel Zeit zusammen verbringen – solange es noch geht.

Was, wenn die deutsch-österreichische Grenze erneut schließt?
Sie hat noch aus dem letzten Lockdown eine Genehmigung, die ihr den Grenzübertritt erlaubt, um mich zu sehen. Der Ausnahmebescheid wurde allerdings zu einem Zeitpunkt ausgestellt, als die Maßnahmen bereits wieder gelockert wurden. Das kann sich natürlich alles von heute auf morgen ändern.

Wie lange waren sie während des letzten Lockdowns getrennt?
Sechs Wochen. Damals haben sich Paare und Verwandte an einer Grenzbrücke getroffen, um sich wenigstens kurz sehen zu können. Meine Nachbarn sind Österreicher und brauchten dringend Medikamente, die sie nur dort erhalten. Die Arzneien haben sie an dieser Brücke übergeben bekommen.  

Sie selbst arbeiten in Salzburg. Auch dort steigen die Fallzahlen erheblich.
Die Stadt lebt vom Tourismus – und der hat jetzt schon den absoluten Nullpunkt erreicht. Gestern war ich noch dort. So habe ich die Stadt noch nie erlebt. Ich war bei schönem Wetter im ansonsten überlaufenen Mirabellgarten (einem Schlossgarten, Anm. d. Red.). In der ganzen Anlage habe ich vielleicht drei Leute gesehen. Salzburg ist völlig ausgestorben, es lässt sich kaum in Worte fassen.

Wie kämen Sie zurecht, sollte die Grenze schließen?
Wie so viele habe ich wegen der Pandemie über Monate nicht arbeiten können. Ohne das Arbeitslosengeld komme ich auch jetzt noch kaum über die Runden – nicht obwohl, sondern gerade, weil ich zwischenzeitlich wieder geringfügig beschäftigt war. Jetzt soll ich die gesamten Bezüge eines Monats, inklusive aller Sozial- und Krankenkassenbeiträge, wieder zurückzahlen.  

Mit welcher Begründung?
Weil ich als Bezieher von deutschem Arbeitslosengeld in Österreich – sprich: im EU-Ausland  – geringfügig beschäftigt war. Dabei hätte ich meinen Anspruch verwirkt. Ab kommendem Monat soll ich nun keine Unterstützung mehr erhalten.

Und was haben Sie jetzt vor?
Ich werde dagegen selbstverständlich Widerspruch einlegen. Ansonsten kann ich nur warten und das Beste hoffen.

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Wie wird der Lockdown in Ihrem Bekanntenkreis aufgenommen?
Meine Nachbarn sind alte Leute mit Vorerkrankungen. Ihnen sind die neuen Regelungen gerade recht. Aber ich habe auch schon mit Anwohnern gesprochen, die sich schlichtweg weigern, die das Ganze für vollkommen übertrieben halten. In einem Fall habe ich ein Gespräch zügig beendet – der Herr kam mir mit Verschwörungstheorien. Auf dem Niveau habe ich keine Lust, mich zu unterhalten. Ich wünschte, die Berchtesgadener nähmen noch mehr Rücksicht auf ihre Mitmenschen und auch die letzten Leugner würden endlich Einsicht zeigen.  

Halten sich die Menschen an die Regeln?
Hier geht wieder jeder auf Distanz – gerade im Vergleich zu vor einigen Wochen. Man sieht niemanden ohne Maske. Auch im Supermarkt sind die Leute sehr diszipliniert und halten Abstand. Schon der erste Lockdown hat wirklich etwas bewirkt.  

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