Covid-Impfstoffstudie unterbrochen – warum das keine schlechte Nachricht ist

Eine Teilnehmerin einer Corona-Impfstoff-Studie ist schwer erkrankt. Die Tests wurden kurz vor der erhofften Zulassung zunächst gestoppt. Was wie ein Desaster klingt, sehen Experten als gutes Zeichen: Die Sicherheitsstandards funktionieren.

Bei der Entwicklung eines Impfstoffs  gegen das neue Coronavirus geht alles rasend schnell. Was normalerweise Jahre in Anspruch nimmt, soll jetzt innerhalb von Monaten über die Bühne gehen. Das Misstrauen gegenüber einer so rasant entwickelten Impfung ist in der Bevölkerung groß.

In diese Unsicherheit platzte jetzt die Nachricht, dass die weltweiten Impfungen mit einem Vakzin gestoppt wurden, dessen Entwicklung besonders weit fortgeschrittenen war: Ein Proband, der mit dem an der Universität Oxford entwickelten Impfstoff behandelt worden war, sei schwer erkrankt. Da taucht sofort die Frage auf: Ist der Impfstoff schuld daran? Diese Frage ist bisher nicht geklärt und muss nun untersucht werden.

Ein Zwischenfall unterbrach Covid-Impfstoff-Studie

Dass ein Proband schwer erkrankt ist, publizierte zuerst das US-Medium „Stat-News“. Die „New York Times“ recherchierte  die mögliche Diagnose des Probanden aus dem Vereinigten Königreich: „Transverse Myelitis“. Inzwischen hat auch der Pharmakonzern Astra Zeneca eingeräumt, dass die Impfstoffstudie unterbrochen wurde, weil eine Frau im Vereinigten Königreich, die den Impfstoff und kein Plazebo verabreicht bekommen hatte, Symptome der Transversen Myelitis zeigte. Sie erhole sich derzeit davon und könne bald aus dem Krankenhaus entlassen werden.

Laut einer Recherche von „Nature-News“ zeigte bereits im Frühsommer ein Studienteilnehmer Symptome einer  Transversen Myelitis, einer seltene akut-entzündliche Erkrankung des Rückenmarks. Auch dieser Fall hatte zu einer Unterbrechung der Studie geführt. Ein unabhängiges Gremium stufte diese Erkrankung jedoch als ein Ereignis ein, das nicht mit dem Impfstoff in Verbindung stand. Der Proband, der nicht behandelt werden musste, soll an Multipler Sklerose leiden – ein bekannter Trigger für Transverse Myeltitis.

Der CEO des  britischen Herstellers Astra Zeneca, Pascal Soriot, hat sich dann auch mit der beruhigenden Mitteilung beeilt, dass trotz der Studienpause noch in bis Ende diesen Jahres ein Impfstoff zur Verfügung stehen könne, spätestens Anfang 2021.

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Experten vertrauen in die Stopp-Regeln für klinische Studien

Ein unabhängiges Komitee soll klären, ob Sicherheitsbedenken bestehen. Stopp-Regeln gehören zur Qualitätssicherung klinischer Studien. Unerwünschte Ereignisse werden im jede Studie begleitenden „Data Safety Monitoring Board“ bewertet. Bis zur Klärung wurden die weiteren geplanten Impfungen auf Eis gelegt.

Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Leiter der Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen an der München Klinik Schwabing, kommentiert:  „Eine kurzfristige Unterbrechung der Studienrekrutierung, wie in diesem Fall jetzt geschehen, ist ein übliches Vorgehen bei klinischen Prüfungen, wenn schwere Nebenwirkungen auftreten.“ Er schließt allerdings nicht aus, dass die beobachtete Myelitis eine Nebenwirkung der Impfung sein könnte.“

Signale wie die Erkrankung des Versuchsteilnehmers müssten bei Impfstudien sehr ernst genommen und aufgeklärt werden, meint auch der Infektiologe Bernd Salzberger vom Universitätsklinikum Regensburg. „Im besten Fall hatte der Proband eine parallele Virusinfektion, die das Krankheitsbild verursacht hat und nicht die Impfung.“

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Erkrankung des Probanden kann viele Ursachen haben

Die vermutete Myelitis ist eine seltene akut-entzündliche Erkrankung des Rückenmarks. Dabei greift das körpereigene Immunsystem die Myelinscheiden der Nervenzellen an. Das führt zu Schmerzen, Muskelkrämpfen und Lähmungserscheinungen. 

Zur möglichen Ursache der Myelitis sagt der Infektiologe Bernd Salzberger:  „Eine der Ursachen für eine solche Erkrankung ist Polio, häufiger heute Enteroviren,  andere Ursachen sind Autoimmunreaktionen, wie zum Beispiel eine Multiple Sklerose.“

Über den Zusammenhang von Corona-Impfung und Myelitis spekuliert Salzberger nicht, sagt aber:  „Es gibt sehr selten eine Myelitis, vermutlich durch Kreuzreaktionen von Virusantigenen mit körpereigenen Strukturen, zum Beispiel bei der Gelbfieberimpfung.“

Das Science Media Center (SMC) stellte in einem Fact Sheet die wichtigsten Punkte zu Myelitis und Infektionskrankheiten beziehungsweise Impfungen zusammen. Häufig geht der Transversen Myelitis demnach eine Infektion durch verschiedene Erreger voraus, etwa Herpesviren oder Bakterien wie die von Zecken übertragenen Borrelien. Was da genau passiert, ist bisher nicht vollständig geklärt.

Humane Adenoviren können in seltenen Fällen Entzündungen des zentralen Nervensystems auslösen. Der jetzt betroffene Impfstoff nutzt allerdings ein Adenovirus als Vehikel, das bei Schimpansen kursiert. 

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Experten warnen vor vorschnellen Urteilen

Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Marburg betont, dass derzeit noch wichtige Informationen fehlten, um den Fall des erkrankten Probanden bewerten zu können. Man wisse nicht, ob er zur Impf- oder zur Kontrollgruppe gehörte, ob Vor- oder Begleiterkrankungen vorlagen. Er ist aber der Meinung, „dass das transparente Vorgehen ein Zeichen der funktionierenden Qualitätskontrolle ist“ und ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass die Sicherheitsregeln greifen.“

Sollte sich die Erkrankung tatsächlich als eine Nebenwirkung des Impfstoffs erweisen, müssten die Risiken des Impfstoffs mit den Risiken einer Covid-19-Erkrankung sorgfältig abgewogen werden, sagt Becker und gibt ein Beispiel aus seinem Forschungsbereich: „Die klinische Überprüfung des Ebola-Impfstoffs förderte Gelenkentzündungen als mögliche Nebenwirkungen. Bei näherer Untersuchung waren diese tatsächlich auf den Impfstoff zurückzuführen, bei einer bestimmten Studienkohorte in Genf. In diesem Fall wurde die klinische Studie ebenfalls pausiert, aber nach einem Review des Boards fortgesetzt. Heute ist der Impfstoff zugelassen.“

Britische Forscher sind unbeeindruckt von Studienpause

Eine ganze Reihe von britischen Wissenschaftlern zeigen sich eher unbeeindruckt von der Studienpause: Sie sei nicht ungewöhnlich in einer Phase-3-Studie, sagt etwa Ohid Yacub von der Universität Sussex. „Die Offenlegung des Problems kann sogar das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Impfstoffentwicklung fördern.“

Stephen Evans, Epidemiologe von der London School of Hygiene & Tropical Medicine warnt vor einer vorschnellen öffentlichen Beurteilung und erinnert an einen Fall aus dem Jahr 2009: Eine junge Britin war nach einer HPV-Impfung gestorben. Der Impfstoff wurde sofort verantwortlich gemacht, doch eine Autopsie zeigte, dass sie einen großen, unentdeckten Tumor im Brustkorb hatte. Der Impfstoff war unschuldig.“

Doug Brown, Chef der British Society for Immunology mahnt zur Geduld: Der Fall werde nun genau untersucht, dann werde man weiter sehen. „Die Angelegenheit zeigt aber auch, warum wir die Wissenschaftler bei der Impfstoffentwicklung nicht drängen und zur Eile nötigen dürfen. Die Sicherheit eines Impfstoffs muss über allem anderen stehen.“

Und James Gill, praktischer Arzt und Dozent an der Warwick Medica School sagt sogar, dass er einem neuen  Impfstoff gegen einen unbekannten Erreger, der vollkommen problemlos durch alle Instanzen geht, eher misstrauen würde als einem, bei dem noch einmal ganz genau hingesehen werden muss.“

Generell überwiegt derzeit in der wissenschaftlichen Gemeinde die Ansicht, dass der Impfstoff von Astra Zeneca nicht oder zumindest nicht allein für die Erkrankung eines Probanden verantwortlich ist. Und ganz einheitlich scheint das Vertrauen in die Kontrollmechanismen und das Sicherheitsprotokoll bei der Impfstoffentwicklung gegen Sars-CoV-2 – auch wenn alles rasend schnell gehen soll.

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