"Als Pflegekraft kann es dir passieren, dass du mit dem Messer bedroht wirst"

Eine Patientin, fünf Kabel, ein Monitor, eine Maschine und keine Ahnung. Die Kollegin war mit den Worten "Du machst das schon" in die Frühstückspause gegangen. Ich, eine Schülerin im dritten Ausbildungsjahr, noch nicht lang auf der Schlaganfallstation, sollte die eingetroffene Patientin versorgen. Nicht nur, dass ich mich weder mit der Maschine noch mit den Medikamenten auskannte, ich war überhaupt nicht bevollmächtigt, ohne examinierte Pflegekraft Entscheidungen zu treffen. Dann bekam die Patientin auch noch einen epileptischen Anfall, lag vor mir und krampfte. Sie hätte aus dem Bett fallen können, ich hätte mich verletzen können und Schlimmeres. Aber es ging gut, auch weil zufällig eine andere Kollegin vorbeikam, die helfen konnte.

Pflege-Petition – für eine Pflege in Würde


"Am Ende hatte Frieda einfach Glück": Der Pflegekräftemangel gefährdete das Leben meiner Tochter

Eigentlich sollen dir die Praxisanleiter*innen alles zeigen und das wollen sie auch, aber sie bekommen gar nicht die Chance dazu. Eine adäquate Ausbildung ist kaum noch möglich. Auf Station passieren immer 1000 Sachen gleichzeitig. Es gibt Zu- und Abgänge, Notfälle kommen rein, dann musst du Betten beziehen, Fragen von Angehörigen beantworten und dann klingelt vielleicht noch jemand und möchte, dass du das Fenster öffnest. Weil es an Personal mangelt, müssen die Pflegekräfte alles parallel machen. In der Praxis führt das dazu, dass sich die Schüler*innen Vieles selbst beibringen müssen. Immer wieder findet man sich dann in prekären Situationen wieder, in denen man zugucken muss, dass man niemanden umbringt. 

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Nachdem ich examiniert war, wollte ich dieses Gefühl von Überforderung, von Hilf- und Machtlosigkeit nicht mehr. Ich habe das Krankenhaus verlassen und bin in den ambulanten Pflegedienst gewechselt. Dort gibt es auch Stress, aber alles läuft strukturierter. Wir fahren zu den Patient*innen nach Hause und machen dort alles vom Messen des Blutzuckerspiegels bis hin zum Wechseln der Thrombosestrümpfe. Wir nehmen uns auch einmal die Extra-Minute und hören einfach zu. Viele sind einsam und freuen sich über die fünf Minuten Gespräch. Im ambulanten Pflegedienst ist man nicht einfach eine anonyme Nummer, manche Patient*innen betreuen wir über Jahre, es entsteht Vertrautheit. 

Leider gibt es aber auch dort immer wieder Situationen, in denen man merkt, dass Geld mehr zählt als das Wohl der Pflegekräfte. Nicht alle Patient*innen freuen sich, wenn man zu ihnen kommt, nicht alle sind lieb und nett. Manche sind garstig, einige sogar gefährlich. Als Pflegekraft kann es dir passieren, dass die Patient*innen dich einsperren wollen, du mit dem Messer bedroht wirst. Und es gibt solche, die dich begrapschen. Ein Patient, er war bereits über 80, verhielt sich mir gegenüber furchtbar ordinär. Es fielen Sprüche, die ich gar nicht wiederholen will, wirklich ekelhaft. Es konnte auch passieren, dass er dir an den Hintern gefasst hat. Das ging so weit, dass ich im Hochsommer dicke Pullover getragen und die Hornbrille aufgesetzt habe, um mich so unattraktiv wie möglich für ihn zu machen.

Ich bin zierlich, keine Ahnung, ob ich mich aus einer gefährlichen Situation befreien könnte. Jedes Mal, wenn ich zu ihm musste, stand ich mit zitternder Hand vor der Tür. Ermahnungen, dass er sein Verhalten ändern müsse, haben nichts gebracht. Als Konsequenz kümmern sich inzwischen nur noch männliche Pflegekräfte um ihn, der Vertrag wurde aber nicht gelöst. Ich liebe meinen Beruf, ich ziehe viel Kraft aus dem Umgang mit den Menschen. In keinem Job habe ich bisher so viel über das Leben gelernt, ich möchte nichts anderes machen. Es kann aber nicht sein, dass man als Pflegekraft Angst vor Patient*innen haben muss, sich vermummen muss, um sich sicher zu fühlen – nur weil der Arbeitgeber auf das Geld nicht verzichten will.

*Name geändert. Der richtige Name ist der Redaktion bekannt.

Über die Aktion:

Es geht um Ihre Kinder, Eltern und Großeltern, um unser aller Zukunft. Wir brauchen gute Pflege. Früher oder später. Deutschland altert schnell, und immer mehr Menschen sind im Alltag auf professionelle Pflege angewiesen. Doch in den Krankenhäusern, Heimen und bei den ambulanten Diensten herrscht ein enormer Pflegenotstand. Überall fehlen Pflegekräfte, weil die Arbeitsbedingungen schwer zumutbar sind und das Gehalt zu niedrig. Wir alle sind davon akut bedroht: Pflegekräftemangel führt zu schwereren Krankheitsverläufen, mehr Komplikationen und Todesfällen. Unsere Politiker:innen finden seit zwei Jahrzehnten keine wirksame Gegenmaßnahme. Es braucht einen ganz großen Wurf, um den Pflegekollaps noch aufzuhalten. Unser Umgang mit dem Thema Pflege entscheidet darüber, wie menschlich unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert bleibt.

Hier können Sie die Pflege-Petition online mitzeichnen.

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