Acetylcholin gegen Curare-Vergiftungen?

Die Tatort-Fans mussten am Sonntagabend lange zittern, ob Professor Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne weiterhin als Geist durch Münster huscht oder er doch nochmals ein „Comeback“ von den (Fast)-Toten erleben darf. Mit Curare wollte der Schurke ihm endgültig die Lichter auspusten, doch Alberich und Thiel waren pfiffiger – und die Ärztin konnte als Antidot Acetylcholin spritzen. Ist das plausibel bei Curare-Vergiftungen?

Der Tatort am Sonntag stellte Professor Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne vor eine besondere Herausforderung: Denn dieses Mal ging es ihm selbst an den Kragen, und der Bösewicht trachtete nach des Rechtsmediziners Leben. Boerne gebar sich jedoch zäh, lag zwar physisch im Koma, huschte dafür jedoch als Geist recht rege durch Münster, immer bestrebt (wenn auch ungehört), seinen Fall zu lösen und dem Tod nochmals von der Schippe zu springen. Allerdings: Auch sein potenzieller Mörder stellte sich als harter Brocken heraus – mit Curare wollte dieser Boerne schließlich endgültig den Garaus machen. Alberich und Thiel hatte er zur Freude der Boerne-Fans dabei unterschätzt – und nicht zuletzt die behandelnde Ärztin: Diese verabreichte Boerne sodann als Curare-Antidot Acetylcholin. Doch: Macht man das überhaupt bei Curare-Vergiftungen?

Pfeilgift indigener Völker: nichtdepolarisierendes Muskelrelaxans

Curare nutzten bereits die indigenen Völker in Südamerika als Pfeilgift für die Jagd. Gewonnen werden die Alkaloide aus der Brechnuss oder aus Mondsamengewächsen. Curare stellt ein komplexes Gemisch mehrerer Alkaloide dar. Ihre Wirkung: Sie erschlaffen die Muskulatur, der Getroffene – ob Tier oder Professor Boerne – sterben letztlich an Atemlähmung. Auf pharmakologischer Ebene gelingt Curare dies durch einen kompetitiven Antagonismus am nicotinischen Acetylcholinrezeptor, wie es depolarisierende Muskelrelaxanzien tun: Curare bindet ohne intrinsische Aktivität an den ionotropen Rezeptor und verhindert dadurch, dass der körpereigene Botenstoff Acetylcholin an diesen binden und ihn erregen kann. Unter physiologischen Umständen bewirkt Acetylcholin an der motorischen Endplatte die Übertragung von Nervenimpulsen auf die Muskelfasern und so die Kontraktion des Muskels.

Verdrängung von Curare durch große Mengen ACh

Da Curare den Nicotinrezeptor jedoch „nur“ kompetitiv und nicht irreversibel hemmt, gelingt es, Curare auch wieder von dem Rezeptor zu verdrängen. Dies sollte geschehen, bevor der Tod durch Atemlähmung eintritt. Beim Tatort griff die Ärztin auf den physiologischen Neurotransmitter Acetylcholin zurück. In Deutschland ist Acetylcholin in Myochol-E Pulver zugelassen „zur Anwendung am Auge bei Glaukomoperationen, Kataraktoperationen, perforierender Keratoplastik, Iridektomie und anderen operativen Eingriffen am vorderen Augenabschnitt, wenn eine schnelle komplette Miosis notwendig ist“, erklärt der Zulassungsinhaber Dr. Gerhard Mann in der Fachinformation. Acetylcholin als Antidot bei Vergiftungen mit Curare oder nichtdepolarisierenden Muskelrelaxanzien findet sich nicht in der Gelben Liste. Das Problem dürfte bei ACh sein, dass es durch die AChE sehr schnell inaktiviert wird, so steht in der Fachinformation zu Myochol-E: „Aufgrund der schnellen Hydrolyse von Acetylcholin durch das Enzym Cholinesterase in Essigsäure und Cholin liegen keine pharmakokinetischen Daten vor“.

Acetylcholinesterasehemmer wie Neostigmin

Die Acetylcholinkonzentration lässt sich auch erhöhen, indem man die Acetylcholinesterase (AChE) blockiert. Das gelingt durch AChE-Hemmer, wie beispielsweise Neostigmin. Neostigmin von Carinopharm nennt in der Zulassung zwar auch nicht explizit die Anwendung als Gegengift von Curare, doch steht dort allgemein: „Neostig-Carinopharm 0,5 mg/ml Injektionslösung wird angewendet zur Antagonisierung der muskelrelaxierenden Wirkung nichtdepolarisierender Muskelrelaxantien“. Der Patient kann auch ausreichend lange beatmet werden, bis die Wirkung von Curare nachlässt und dieses den Rezeptor wieder freigibt.

Ein Zuviel an Acetylcholin macht man sich übrigens bei anderen Giften zunutze, was jüngst im Falle Nawalny wieder deutlich wurde. Dieser wurde mit einem Gift der Nowitschokgruppe vergiftet, einem Cholinesterasehemmer.

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