Was bringt ein trockener Januar?
SPIEGEL: Herr Seitz, beim Dry January soll sich der Körper nach dem meist sehr alkoholreichen Dezember wieder erholen. Wer mitmacht, nimmt sich vor, den kompletten Januar keinen Tropfen Alkohol zu trinken. Was bringt das?
Seitz: Das kann viele positive Effekte haben. Zum einen kann jeder im Selbstversuch testen, ob er es überhaupt durchhält, einen Monat lang gar nichts zu trinken. Wem das nichts ausmacht, kann beruhigt sein: Der hat auch kein Alkoholproblem. Aber es gibt Menschen, denen fällt es extrem schwer, ganz auf Alkohol zu verzichten – selbst wenn es nur eine Weile ist.
SPIEGEL: Ist man gleich abhängig, wenn man Ausnahmen macht? Wenn man zum Beispiel auf das Bier mit Freunden nicht verzichten will?
Seitz: Die Frage lautet: Warum kann man nicht darauf verzichten? Natürlich ist es nicht schlimm, hin und wieder mal ein Bier mit Freunden zu trinken. Doch meist bleibt es nicht bei einem Bier. Gerade diese sogenannten sozialen Trinker unterschätzen oft die Folgen ihres Alkoholkonsums. Wer regelmäßig Alkohol trinkt, hat ein sehr viel höheres Risiko für bestimmte Krankheiten wie etwa eine Magenschleimhautentzündung, Bluthochdruck oder eine verfettete Leber. Das Organ, das am empfindlichsten auf Alkohol reagiert, ist die weibliche Brustdrüse. Das wissen die wenigsten. Bei Frauen steigt daher das Risiko für Brustkrebs.
SPIEGEL: Und schon durch einen Monat Enthaltsamkeit bessert sich das alles?
Seitz: Wenn Sie einen Monat lang keinen Alkohol trinken, werden Sie positive Veränderungen bemerken. Sie werden sich insgesamt besser fühlen und besser schlafen. Ihre Organe werden entlastet, die Leber wird entfetten und kleiner werden. Auch die Magenschleimhaut wird entspannen, weil weniger Magensäure produziert wird. Die Cholesterinwerte werden sich verbessern, die Harnsäure wird runtergehen. Die Effekte sind messbar und spürbar. Häufig trinken diese Menschen dann auch in den Folgemonaten weniger.
SPIEGEL: Fällt es leichter, den Januar durchzuhalten, wenn man weiß: Im Februar darf ich wieder?
Seitz: Psychologisch gesehen ist da was dran. Aber dann hängen die Gedanken ja wieder am Alkohol: Wann darf ich endlich wieder trinken? Ich mag zum Beispiel Schokolade sehr gern. Wenn ich jetzt beschließe, mal einen Monat keine Schokolade zu essen, denke ich trotzdem nicht die ganze Zeit daran, wann ich endlich wieder darf.
SPIEGEL: In der Weihnachtszeit müssten Sie ganz schön oft „Nein“ sagen.
Seitz: Das stimmt auch wieder. Und viele würden wahrscheinlich enttäuscht reagieren, wenn ich ihr Schoko-Angebot ausschlage. Beim Alkohol ist es ähnlich.
SPIEGEL: Das Feierabendbier, die Einladung zum Abendessen, das Anstoßen auf die Beförderung oder eine richtig gute Party – es gibt ziemlich viele Anlässe, Alkohol zu trinken. Sind wir nicht alle soziale Trinker?
Seitz: Alkohol ist ein soziales Schmiermittel und das ist auch gut so. Stellen Sie sich Ihre Weihnachtsfeier mal ohne Alkohol vor.
SPIEGEL: Undenkbar.
Seitz: Genau. Wahrscheinlich wären alle ein wenig verklemmt und würden eher herumsitzen und über die Arbeit sprechen. Das will ja auch keiner. Ein Gläschen Wein löst Hemmungen und macht vieles leichter, das ist ja nicht per se schlecht. Doch leider artet eine Feier mit Alkohol wiederum auch sehr schnell aus. Die Grenze ist schmal.
SPIEGEL: Es gibt ja in fast jedem Freundeskreis diese eine Person, die immer ein wenig über die Stränge schlägt. Wie kann ich das ansprechen, wenn ich mir Sorgen mache?
Seitz: Das ist sehr schwierig. Wenn man sich ernsthafte Sorgen um einen Freund macht, sollte man das ansprechen. Es ist wichtig, ihm klar zu machen, dass er seine Gesundheit auf lange Sicht massiv schädigt. Meist kommt man an diese Menschen jedoch nicht heran – sie sehen das Problem selbst nicht oder verharmlosen es.
SPIEGEL: Wie viel Alkohol wäre denn okay?
Seitz: Frauen können relativ unbedenklich 125 Milliliter Wein oder ein kleines Bier pro Tag trinken. Für Männer gilt die doppelte Menge: 250 Milliliter Wein oder ein halber Liter Bier. Das ist die Faustregel. Die ändert sich jedoch wieder bei den Risikogruppen: Für Übergewichtige, Menschen mit einer Leberkrankheit oder einer Fettstoffwechselstörung ist Alkohol besonders gefährlich. Raucher, die Alkohol trinken, haben ein deutlich höheres Risiko für Krebs im Mund- und Rachenraum oder in der Speiseröhre. Insgesamt gibt es rund 200 Krankheiten, die durch Alkohol initiiert oder verstärkt werden. Auch im Zusammenhang mit bestimmten Medikamenten kann Alkohol sehr schädlich sein, mit Paracetamol zum Beispiel.
SPIEGEL: Dabei braucht man die doch spätestens am Tag danach gegen die Kopfschmerzen.
Seitz: Das ist leider ein weit verbreiteter Irrglaube. Gerade Paracetamol ist eine Substanz, die gefährlich wird, wenn man häufig Alkohol trinkt. Vereinfacht gesagt wird beim Alkoholabbau ein bestimmtes Enzym aktiviert, das auch dafür sorgt, dass etwa Medikamente schneller abgebaut werden. Wenn Paracetamol zu schnell abgebaut wird, entsteht ein Gift. Ich kenne einige Fälle, in denen das zum Leberausfallkoma geführt hat – dabei gelangen neurotoxische Stoffwechselprodukte, die normalerweise von der Leber gefiltert werden, direkt zum Gehirn. Es verläuft in fast allen Fällen tödlich.
SPIEGEL: Und Aspirin?
Seitz: Es gibt ja dieses Gerücht, dass man keinen Kater bekommt, wenn man vor dem Schlafengehen noch eine Aspirin einwirft. Das ist sehr gesundheitsschädlich, da Aspirin die Magenschleimhaut massiv schädigt – genauso wie Alkohol. Das ist also eine Doppelbelastung, von der sich der Körper ebenfalls während des Dry January erholen kann. Am besten ist es wohl, den gesamten Freundeskreis zum Mitmachen zu motivieren. Wenn alle nichts trinken, ist kein sozialer Druck da.
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