Der große Long-Covid-Check – wen es wie stark trifft

Wie lange dauert Long-Covid? Das fragen sich viele Betroffene, die nach ihrer Corona-Infektion immer noch unter Symptomen wie Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Gehirnnebel leiden. Eine aktuelle Studie macht Hoffnung. Alle wichtigen Fragen im Überblick.

Mal sind es Wochen, mal Monate – Beschwerden wie Müdigkeit, geistige Beeinträchtigungen und Schmerzen halten an. Dabei ist der Corona-Test längst negativ. Long-Covid oder Post-Covid trifft in Deutschland vermutlich hunderttausende Menschen. Genaue Zahlen sind schwer zu nennen. Zu facettenreich ist das Krankheitsbild, die Definition unscharf und es wird häufig nicht erkannt.

Und doch liefert eine neue Studie, die im „British Medical Journal“ („BMJ“) veröffentlicht wurde, eine gute Nachricht: Die meisten Long-Covid-Symptome verschwinden innerhalb eines Jahres – jedenfalls bei denjenigen, die einen leichten Covid-19-Verlauf hatten.

Die Forschenden begleiteten fast 300.000 Kinder und Erwachsene, die an mildem Covid-19 litten (was bedeutet, dass sie nicht ins Krankenhaus eingeliefert wurden). Einige waren geimpft, als sie sich angesteckt hatten, andere nicht. Zum Vergleich beobachteten die Forscher etwa 300.000 Menschen mit ähnlichen demografischen Merkmalen, die nicht positiv auf Covid-19 getestet wurden. Sie untersuchten den Zeitraum zwischen März 2020 und Oktober 2021, die Omikron-Variante war hier noch nicht dominant.

1. Was bedeutet „Long-Covid“?

Mediziner unterscheiden zwischen „Long-Covid“ und „Post-Covid“.

  • Als „Long-Covid“ definieren die deutschen Patientenleitlinien Beschwerden, die länger als vier Wochen nach einer Infektion bestehen.
  • Von „Post-Covid“ ist die Rede, wenn die Beschwerden länger als zwölf Wochen nach der Infektion den Alltag einschränken.

Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich überwiegend „Long-Covid“ verbreitet, weshalb dieser Text bei dieser Bezeichnung bleibt. In der medizinischen Fachliteratur, einschließlich der S1-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), hat sich der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte Begriff Post-Covid-Syndrom (PCS) durchgesetzt. Hierzu ist im Deutschen „ Ärzteblatt “ ein ausführlicher Literatur-Review erschienen.

2. Wie äußert sich Long-Covid?

Patienten leiden nach ihrer Infektion an Symptomen wie

  • Müdigkeit und Erschöpfung
  • Kopfschmerzen
  • Atembeschwerden
  • Geruchs- und Geschmacksstörungen
  • kognitiven Beeinträchtigungen wie Gehirnnebel, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
  • depressiven Verstimmungen

Aber auch Herzbeschwerden, Nieren- und Stoffwechselstörungen können in Folge einer Infektion auftreten. Die Liste der möglichen Symptome ist lang: In diversen Studien haben Betroffene bis zu 200 verschiedene Symptome für Long-Covid angegeben.

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung/ Bundesministerium für Gesundheit Long-Covid – häufige Krankheitszeichen bei Erwachsenen

3. Wen trifft Long-Covid?

Experten gehen davon aus, dass mindestens zehn Prozent aller Corona-Infizierter im Anschluss an Long-Covid leiden. In einer hochaktuellen Long-Covid-Review, die am Freitag im renommierten „ Nature “-Magazin erschienen ist, schätzen die Forscher, dass

  • 10 bis 30 Prozent der nicht-hospitalisierten Corona-Infizierten
  • 50 bis 70 Prozent der hospitalisierten Corona-Infizierten
  • und 10 bis 12 Prozent der geimpften Corona-Infizierten

von Long-Covid betroffen sind.

Es betreffe zudem alle Altersgruppen, aber zu einem erhöhten Prozentsatz Menschen im Alter zwischen 36 und 50 Jahren. Faktoren wie Vorerkrankungen, ein geringer sozio-ökonomischen Status und die fehlende Möglichkeit, sich auszukurieren, würden Long-Covid begünstigen.

Allerdings: Auch sehr viele Menschen mit mildem Verlauf leiden an Long-Covid. „Wir haben festgestellt, dass erstaunliche 90 Prozent der Menschen, die mit Long-Covid leben, nur einen leichten Covid-19-Verlauf hatten“, schreiben die Forschenden Sarah Wulf Hanson und Theo Vos, beide von der University of Washington, in einem Artikel in „The Conversation“.

Sie untersuchten mit ihrem Team Daten aus 54 Studien mit 1,2 Millionen Menschen aus 22 Ländern mit symptomatischer Corona-Infektion (Zeitraum März 2020 bis Januar 2022). Unter Long-Covid verstanden sie Symptome drei Monate nach der Erstinfektion, wobei Beschwerden mindestens zwei Monate anhielten. Ihre Studie wurde im „ Journal of the American Medical Association “ („JAMA“) veröffentlicht.

Ihr Ergebnis:

  • Frauen hatten ein doppelt so hohes Risiko, Long-Covid zu entwickeln, wie Männer und ein vierfach höheres Risiko wie Kinder.
  • Einer von sieben Infizierten hatte ein Jahr später immer noch Symptome.
  • Menschen, die mit Covid ins Krankenhaus eingeliefert wurden, entwickelten mit größerer Wahrscheinlichkeit Long-Covid.

Laut Robert Koch-Institut liegt die Corona-Hospitalisierungsrate (also Menschen, die in einem Krankenhaus behandelt werden müssen) seit Anfang November konstant bei etwa 14 Prozent. 86 Prozent haben also einen milden Verlauf. Auch wenn für sie die Wahrscheinlichkeit, an Long-Covid zu erkranken, geringer ist, sind es schlicht viel mehr Betroffene.                        

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  • 5. Wie häufig tritt Long-Covid auf?

    Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass „10 bis 20 Prozent der Sars-CoV-2-Infizierten über bleibende oder neu aufgetretene Beschwerden im längeren Verlauf nach der Akutphase der Infektion klagen, die als Post-Covid-Syndrom (PCS) bezeichnet werden“, heißt es im „Ärzteblatt“-Report. Eine ähnliche Größenordnung bestätigten britische Längsschnittstudien, die einen Anteil zwischen 7,8 und 17 Prozent an Langzeitbetroffenen ausmachten.

    Die aktuelle Nature-Studie geht von weltweit mindestens 65 Millionen Menschen mit Long-Covid aus. Die tatsächliche Inzidenz könne aber dreimal so hoch liegen.

    6. Wie häufig treten die einzelnen Symptome auf?

    In der „ Nature “-Review werden unter Berufung auf verschiedene Studien konkrete Zahlen genannt: So litten zwölf Wochen nach der Infektion noch immer 32 Prozent an Müdigkeit, bei 22 Prozent wurden kognitive Beeinträchtigungen festgestellt. 20 bis 40 Prozent der Long-Covid-Patienten klagten mindestens sieben Monate nach der Infektion noch immer unter Kurzatmigkeit und Husten.

    Schätzungen zufolge erfüllt etwa die Hälfte der Long-Covid-Patienten die Kriterien für ME/CF (chronsiches Fatigue-Syndrom). Herz-MRT-Untersuchungen hätten zudem gezeigt, dass 78 Prozent der Corona-Patienten und 58 Prozent der Long-Covid-Patienten eine Herzinsuffizienz aufwiesen.

    Eine Untersuchung von Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauchspeicheldrüse und Milz bei über 500 ehemals Corona-Infizierten ergab, dass 59 Prozent eine Einzel-Organschädigung aufwiesen, bei 27 Prozent waren mehrere Organe betroffen. „Die Organschäden, die Patienten mit Long-Covid erleiden, scheinen dauerhaft zu sein“, kommentieren die Forscher.

    Psychische Erkrankungen wie Angstzustände und Depressionen normalisierten sich dagegen im Laufe der Zeit. Das ergab eine Untersuchung mit mehr als 1,3 Millionen ehemals Corona-Infizierten. Bei kognitiven Beeinträchtigungen (Brain Fog), Krampfanfälle, Demenz, Psychosen und andere neurokognitive Erkrankungen hielt das erhöhte Risiko dagegen für mindestens zwei Jahre an.

    7. Wie hoch ist das Long-Covid-Risiko bei Omikron?

    Inwiefern Long-Covid oder Post-Covid auch mit der Omikron-Variante und all ihren Subtypen ein Problem darstellt, lässt sich derzeit noch nicht eindeutig beantworten. Die erwähnte „JAMA“-Studie schließt überwiegend Personen ein, die sich vor der Omikron-Dominanz infizierten. Erste Untersuchungen zeigen für Omikron ein geringeres Risiko, schreiben die Forschenden. Gleichzeitig steckten sich durch die leichte Übertragbarkeit der Variante verhältnismäßig viele Menschen damit an.

    8. Wie entsteht Long-Covid?

    Noch immer gibt die Erkrankung den Fachleuten Rätsel auf. Doch die Autoren des „Ärzteblatt“-Berichts nennen gute Belege für unterschiedliche übergreifende sowie Organ-spezifische Ursachen.

    Dass Corona so viele Organe trifft, liegt unter anderem daran, dass Sars-CoV-2 an den ACE2-Rezeptor bindet. Dieser wiederum findet sich an vielen Stellen im Körper. Nämlich in

    • Lunge,
    • Niere,
    • Dünndarm,
    • Geruchssinneszellen,
    • Herz,
    • Hoden,
    • Muskelzellen und der
    • Substantia nigra (schwarzen Substanz) im Gehirn

    Zu den übergreifenden Ursachen gibt es vier Hauptthesen der Entstehung:

    • Autoimmunreaktion
    • Entzündung
    • Anhaltender Virus oder „Virus-Reste“ im Körper
    • Gerinnungsstörungen (Blutgerinnsel)

    Mehr dazu lesen Sie hier: Wie entsteht Long-Covid? Das sind die vier wichtigsten Thesen

    9. Wie wirken sich die Impfungen auf Long-Covid aus?

    Die Impfung ist nach derzeitigem Wissensstand mit einem geringeren Risiko oder einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Long-Covid verbunden. Zwei Impfdosen schienen wirksamer zu sein als eine, wie ein Preprint-Studie zeigte, die nun zur Veröffentlichung im Fachjournal „BMJ“ akzeptiert wurde.

    Zahlen der britischen „ Covid Surveillance-Studie “ (Stand Juli 2022) zeigen zudem, dass für dreifach Geimpfte die Prävalenz der Langzeitbeschwerden unter, beziehungsweise auf maximal fünf Prozent gedrückt werden kann.

    Die aktuelle „BMJ“-Studie ergab bezüglich milder Covid-19-Verläufe: Die Long-Covid-Symptome unterschieden sich nicht wesentlich, je nachdem, ob jemand zum Zeitpunkt der Infektion geimpft oder ungeimpft war. Aber die Geimpften hatten laut der Studie ein signifikant geringeres Risiko für anhaltende Atembeschwerden.

    10. Wie groß wird das Long-Covid-Problem noch?

    Es lässt sich schwer vorhersagen, wie viele Menschen es noch treffen wird und wie viele der schon Betroffenen weiter unter den Long-Covid-Beschwerden leiden werden. Die sozialmedizinischen und wirtschaftlichen Auswirkungen seien noch nicht absehbar, schreiben die Fachleute im „Ärzteblatt“, „dürften aber immens sein“.

    Allein was das Krankheitsbild ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) angeht, zeigten sich Experten alarmiert: „Rechnet man die in verschiedenen Studien ermittelten Raten an Post-Covid-Verläufen, die die ME/CFS-Diagnosekriterien erfüllen, auf die Gesamtbevölkerung um,  so muss in den nächsten Jahren mindestens mit einer Verdopplung der Zahl der von ME/CFS Betroffenen in Deutschland gerechnet werden  “, schreiben Carmen Scheibenbogen, Leiterin des Charité Fatigue Centrum der Charité, und Herbert Renz-Polster, Kinderarzt und Wissenschaftler, in ihrem  Review in „Die Innere Medizin“ . Heute schon sind laut Schätzungen etwa 250.000 bis 300.000 Menschen in Deutschland betroffen. Bislang ist unbekannt, wie viele durch Corona hinzugekommen sind.

    Vor diesem Hintergrund fordert die Ärzteschaft: Für die klinische Versorgung braucht es spezialisierte Zentren an Einrichtungen der Maximalversorgung (in der Regel Universitätskliniken), in denen Spezialistinnen und Spezialisten aus mehreren Disziplinen eine umfassende Versorgung anbieten können.

    Hier können Betroffene weitere Informationen und Unterstützung finden:

    • Patientenleitlinie „Post-Covid/ Long-Covid“
    • Website der BZgA
    • Nationales Gesundheitsportal
    • Zusammen gegen Corona
    • Long Covid Deutschland
    • Selbsthilfegruppen in Deutschland für Personen mit Long Covid
    • Fatigue Centrum Berlin
    • Reha bei Long Covid

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