So sollen Drohnen Menschenleben retten

Dutzende Blicke richten sich gen Himmel, auf etwas, das aus der Ferne aussieht wie ein schwarzer Vogel. Frauen in gemusterten Kleidern halten ihre Babys im Arm und jubeln, als die Drohne über ihren Köpfen dröhnt und ein rotes Paket in der Größe eines Schuhkartons abwirft.

Eine Krankenschwester in grünem Kittel läuft über das Gras und schnappt sich das Päckchen. Seit Juni wird das Gesundheitszentrum in der Kleinstadt Anyinam im Süden Ghanas per Drohne mit Medikamenten beliefert. Und ist damit Teil eines großen Plans.

600 Drohnenflüge pro Tag geplant

Im westafrikanischen Ghana soll das weltweit größte medizinische Drohnennetzwerk entstehen, hieß es in der Presserklärung zum Starttermin im April dieses Jahres. Die logistische Leitung übernimmt das kalifornische Unternehmen Zipline. Die ghanaische Regierung bewilligte zwölf Millionen Dollar für die kommenden vier Jahre. Zipline stellt der Regierung die Kosten für die Flüge in Rechnung. Auch die Lieferung der Medikamente liegt weiterhin in staatlicher Hand. „Wir sind das Logistikzentrum“, sagt Komla Buami, Pressesprecher von Zipline.

Die Zahlen klingen beeindruckend: 120 Drohnen sollen bald rund um die Uhr bis zu 2000 Gesundheitszentren beliefern, in deren Einzugsgebiet rund zwölf Millionen Ghanaer leben – fast die Hälfte der Bevölkerung. Dafür sind vier Drohnenflughäfen geplant, von denen täglich 600 Flüge starten sollen.



Bisher ist jedoch nur der Anfang gemacht. Derzeit werden 14 Gesundheitseinrichtungen beliefert. Rund 20 Mal am Tag starten die sieben Drohnen, die bisher im Einsatz sind, um Gesundheitszentren und Krankenhäuser mit Schlangengift-Antiseren, Blutkonserven oder Polioimpfungen zu versorgen, mit gefrorenem Plasma oder Glukosepulver. Insgesamt sind es 148 medizinische Produkte, die auf Bestellung per Anruf, SMS oder WhatsApp-Nachricht mit Drohnen verschickt werden.

Der neue Drohnenflughafen liegt rund 70 Kilometer von Ghanas Hauptstadt Accra entfernt, auf einem Hügel in einem Ort namens Omenako. Wie in einer Ankunftshalle stehen die Flugdaten auf einer digitalen Tafel. Die rund 15 Mitarbeiter können ablesen, seit wann eine Drohne unterwegs ist und ob sie ihre Ladung schon abgeworfen hat. In der Halle werden auch die Akkus geladen und die Bäuche der Drohnen mit den Medikamenten aus dem angrenzenden Lager befüllt.

Im Notfall spart die Drohne wichtige Zeit

Das Gesundheitszentrum in der Kleinstadt Anyinam hatte an diesem Nachmittag fünf Tollwutimpfungen bestellt. „Anfangs war ich skeptisch“, sagt Sarah Amyah, die die Einrichtung leitet. „Ich dachte, dass wir andere Dinge viel dringender gebrauchen könnten.“

40 Kilometer sind es vom Drohnenflughafen bis in das Gesundheitszentrum in Anyinam. Rund 35 Minuten dauert die Fahrt mit dem Auto – die Drohne schafft es in 20 Minuten. Insgesamt können die Geräte 110 Kilometer pro Stunde zurücklegen, sie haben eine Reichweite von 180 Kilometern.

In einem Land wie Ghana, wo viele Straßen nicht asphaltiert und in der Regenzeit überschwemmt sind, ist die Zeitersparnis ein großer Vorteil – wenn es sich um medizinische Notfälle handelt. „Niemand in Ghana sollte sterben, weil im Notfall die nötige Medizin nicht zu bekommen ist“, sagte Präsident Nana Akufo-Addo zur Eröffnung des Drohnenflughafens im April. Doch grundsätzlich stellt sich vielen die Frage, ob das Geld für das Drohnenprojekt nicht besser hätte investiert werden können.

Zu wenig Ärzte, zu wenig Krankenwagen, zu wenig Blutkonserven

„Für wirkliche Notfälle mag der Einsatz von Drohnen sinnvoll sein“, sagt etwa Gameli Aheto, Arzt in der Notaufnahme der Universitätsklinik in Ghanas Hauptstadt Accra. „Aber Impfungen sind in der Regel keine Notfälle.“ Mit dieser Kritik ist Aheto nicht allein. Egal ob in sozialen Medien oder Krankenhäusern: Das Drohnenthema wird hitzig diskutiert. Die ghanaische Ärztekammer etwa forderte die Regierung dazu auf, das Projekt auf Eis zu legen, bis es in kleinem Rahmen getestet wurde. Die Kritik: Das Projekt könne nicht dabei helfen, das marode Gesundheitssystem des Landes nachhaltig zu verbessern.

Doch Not herrscht an vielen Stellen:

  • Landesweit gibt es nur 55 funktionierende Krankenwagen für 29 Millionen Menschen. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es mehr als 20.500 Rettungsfahrzeuge, allein in Nordrhein-Westfalen existieren mehr als 4000.
  • Auch Ärzte gibt es in Ghana viel zu wenige: Auf einen Mediziner kommen dort 5555 Patienten – die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt ein Verhältnis von 1:1000.
  • Im Notfall fehlen auch Blutkonserven: 2017 kamen zwar insgesamt mehr als 160.000 Blutspenden zusammen. Allerdings stammte davon nur gut ein Drittel von freiwilligen Spendern. Zwei Drittel der Blutkonserven hatten Spender direkt für Verwandte abgegeben, die in einer Notlage waren. Bei Unfällen und anderen akuten Notfällen ist das allerdings nicht möglich.

Ein Drohnenprojekt kann solche Probleme nicht lösen. Kritiker befürchten, dass es nur sehr kurzfristig ein Symptom bekämpft und andere Missstände verdeckt. „Die Menschen sehen die Probleme nicht, sie sehen nur die neuen Drohnen, die jetzt da sind und Medikamente verteilen“, sagt Aheto. „Aber so baut man kein stabiles, nachhaltiges Gesundheitssystem auf.“

„Prioritäten falsch gesetzt“

Vor Kurzem litten 113 Schüler einer Highschool an akutem Durchfall. Binnen 20 Minuten brachte eine Drohne 125 Päckchen einer Trinklösung. „Das Mittel kostet weniger als 10 Cent pro Patient und sollte in jeder Schule, auf jeden Fall aber in jedem Krankenhaus, vorrätig sein“, sagt Aheto. Die Medien feierten Zipline dafür, die Schüler gerettet zu haben.

Aheto fürchtet, das Krankenhauspersonal könnte sich von den Drohnen und dem US-Anbieter abhängig machen – und eine vorausschauende Planung noch weniger im Auge behalten. Denn ein Anruf ist schnell gemacht und dann bringt das Unternehmen das Paket direkt vor die Krankenhaustür. Daran kann man sich schnell gewöhnen, allerdings wird Zipline für jeden einzelnen Flug, für jede einzelne Zustellung bezahlt.

„Hier wurden Prioritäten falsch gesetzt“, sagt auch Gregory Rockson, Geschäftsführer und Gründer von mPharma, einem Start-up aus Ghana, das Inventur und Belieferung von Medikamenten in Apotheken übernimmt. „Wäre ich an der Stelle der ghanaischen Regierung, hätte ich die 12 Millionen Dollar nicht dafür ausgegeben, Medikamente mit Drohnen von A nach B zu transportieren.“ Zur Einordnung: Im Jahr 2016 standen dem Ghana Health Service, der für die grundsätzliche Gesundheitsversorgung des Landes zuständig ist, umgerechnet rund 229 Millionen Euro zur Verfügung.

Sarah Amyah, Leiterin der Gesundheitseinrichtung in Anyinam, geht es nicht mehr um das Wie. Sie ist begeistert von der Effizienz der Drohnen. „Sie sind zuverlässig und schnell und helfen uns dabei, Patienten zu heilen.“ Dem stimmen auch die Kritiker zu: Im Notfall kann das Medikament via Drohne Menschenleben retten. Rockson hofft allerdings, dass sich die ghanaische Regierung in Zukunft effektiver und günstiger darum kümmert, diese grundlegende Versorgungslücke zu schließen: „Aber keiner applaudiert dir, wenn du Vans einsetzt, um Medikamente zu transportieren.“

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