Eine Plage verliert ihren Schrecken

Es muss nicht teuer sein, Leben zu retten. Alles, was es manchmal braucht, sind Wasser, Zucker und Salze.

Hima Akhter zieht sich die Decke über die Augen, sodass nur ihre langen schwarzen Haare zu sehen sind. Sie wimmert. Eine Krankenschwester sticht mit einer Nadel in ihren Handrücken und legt eine Infusion. Danach dauert es nur ein paar Stunden, bis das Leben in Akhter zurückkehrt.

Als die 19-Jährige im Krankenhaus in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka ankam, musste ihre Mutter sie stützen; ihre Wangen und Augen wirkten eingefallen, ihre Lippen waren aufgeplatzt. Am Tag zuvor hatte sie etwas an einem Straßenrand gegessen. Am Abend begannen die Krämpfe, sie erbrach sich und bekam Durchfall. Dann verlor sie das Bewusstsein.

Hima Akhter mit ihrer Mutter und Großmutter. Die Ärzte fürchten, dass die 19-Jährige sich mit Cholera angesteckt hat

Nun liegt sie in dem Krankenhaus, das einen komplizierten Namen trägt, aber das in Dhaka jeder kennt: das ICDDR,B. Mehr als 200.000 Patienten werden hier jedes Jahr behandelt. Die meisten von ihnen leiden an gewöhnlichen Durchfallerkrankungen, wie sie in Südasien häufig vorkommen. Und dann gibt es Patienten wie Akhter: mit Cholera. Sie machen ungefähr ein Fünftel aller Fälle aus.

Die Cholera gehört zu den letzten Geißeln der Menschheit. Sie diente unter anderem Thomas Mann und Heinrich Heine als Inspiration für große Literatur und war Auslöser verheerender Pandemien. Cholera ist eine Krankheit, die leicht kurierbar ist, mit Elektrolyten und Flüssigkeit, die aber ohne Behandlung und im schlimmsten Fall binnen Stunden tödlich enden kann. Vibrio cholerae nistet sich im Dünndarm seiner Opfer ein, wo der Erreger ein Gift ausscheidet, das einen massiven Durchfall auslöst. Durch den Wasserverlust droht der Körper zu dehydrieren.

Noch immer stecken sich laut Weltgesundheitsorganisation WHO jedes Jahr zwischen 1,3 und 4 Millionen Menschen mit der Infektionskrankheit an. Bis zu 140.000 von ihnen sterben daran. Die gute Botschaft: Die Zeiten der Cholera könnten bald enden. Die traurige: Es hätte schon viel früher so weit sein können. Aber Bürokratie und Gleichgültigkeit haben es verhindert.



Eine Chronologie:

Noch immer sterben jedes Jahr Zehntausende Menschen bei Cholera-Ausbrüchen; nicht im Westen, sondern in Südamerika, Ruanda oder im Irak. „Wir verfügten zur Jahrtausendwende über zwei sichere und effektive Impfungen. Aber wir durften keine davon für die Behandlung der Armen verwenden“, sagt der Arzt John Clemens heute. Hätte die Cholera amerikanische Kinder bedroht, er glaubt, es wäre schneller gegangen.

Gemeinsam mit dem Schweden Jan Holmgren gilt Clemens als einer der Pioniere der Cholera-Impfung – „eine 30-jährige Saga“, sagt er selbst.

Clemens leitet das ICDDR,B, das sich eine Regel gesetzt hat: Kein Patient wird abgewiesen. Hunderte Patienten liegen in großen Sälen, die langen Reihen nur durch hüfthohe Mauern voneinander getrennt. Während der Hitze vor dem Monsun kommen pro Tag bis zu 2000 Menschen an, um sich kostenlos behandeln zu lassen. Vor dem Eingang werden dann Zelte aufgespannt. Schreiner und Schneider hinter dem Gebäude zimmern neue Betten. Einfache Feldbetten aus Holz, die Laken aus Kunststoff. In der Mitte ein Loch, darunter steht ein Eimer, der alle acht Stunden geleert wird. Eine Putzfrau wischt den Boden. Es riecht nach Desinfektionsmitteln.

Das ICDDR,B in Dhaka behandelt jährlich 200.000 Patienten

Das ICDDR,B kann sich Luxus nicht leisten. Eine gute Therapie, finden die Ärzte hier, muss nicht nur sicher und effektiv sein, sondern auch erschwinglich für die, die sie brauchen. Sie sind damit durchaus erfolgreich: Die Todesrate liegt bei unter einem Prozent. Zudem helfen die Seuchenexperten nach Katastrophen in aller Welt: im Jemen, in Äthiopien oder in Nepal. Ihr Job ist in den letzten Jahren ein wenig einfacher geworden. Denn tatsächlich gibt es heute einen günstigen Impfstoff.

Zum Durchbruch führten am Ende zwei Dinge: viel Geld und eine schlimme Katastrophe. Die Bill und Melinda Gates Stiftung finanzierte 1999 eine klinische Studie mit einer veränderten Variante des vietnamesischen Impfstoffs. Ein indisches Pharmaunternehmen produzierte das Medikament für einen Bruchteil der Kosten des ursprünglichen Impfstoffs.

Dann bebte in Haiti die Erde. Anfang 2010 verwüstete ein Erdbeben den Inselstaat. Eine weitere Katastrophe folgte wenige Monate später: Nepalesische Uno-Soldaten hatten den Cholera-Erreger eingeschleppt. Zwischen 600.000 und 700.000 Menschen infizierten sich mit der Krankheit.

Dank der groß angelegten Impfkampagne ist ein Cholera-Ausbruch in den Flüchtlingslagern von Bangladesch bisher ausgeblieben

Plötzlich war das Interesse an einem Impfstoff groß. Plötzlich ging alles ganz schnell. Heute lagert die WHO Millionen Dosen des Impfstoffs auf Vorrat. Er kam im Südsudan und im Irak zum Einsatz und auch am einstigen Geburtsort der Cholera.

Der Exodus der Rohingya war der bislang größte Test. 740.000 Menschen flohen vor rund zwei Jahren vor den Gräueltaten der myanmarischen Armee nach Bangladesch. Zu Beginn gab es dort für sie keine Hütten, kein Trinkwasser und keine Toiletten. Mit Unterstützung von Hilfsorganisationen und dem ICDDR,B impften die Vereinten Nationen fast eine Million Flüchtlinge. Bis heute gab es in den Lagern keinen nennenswerten Cholera-Ausbruch – obwohl alles dafür sprach.

Die WHO hat es sich zum Ziel gesetzt, die Cholera bis 2030 zu besiegen. Dafür sei vor allem bessere Hygiene notwendig, aber auch die Immunisierung der Bevölkerung in Regionen, in denen der Cholera-Erreger heimisch ist. Mediziner Clemens hat derweil vor allem eins gelernt, sagt er: Dass er ein guter Forscher sein mag – aber nicht unbedingt ein guter Lobbyist.

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