Digital Detox: Bewusst offline gehen
Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 schaut jeder deutsche Handynutzer alle 12 Minuten auf sein Gerät. Insgesamt nutzen erstmals mehr als 90 Prozent der über 14-Jährigen das Internet. Drei Viertel der deutschen Bevölkerung sind täglich online.
Das Smartphone ist nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken. Morgens auf dem Weg zur Arbeit mal kurz durch Facebook oder Instagram scrollen, beim Mittagessen ein paar Whatsapp-Nachrichten beantworten und abends im Bett noch mal eben die Mails checken: Der Blick auf das Handy erfolgt beinahe reflexartig. Oft wollen wir auch nur nachschauen, wie spät es ist – und schon bleiben wir hängen. Sobald man das Handy dann wieder beiseitelegt, ist die Uhrzeit natürlich schon längst wieder vergessen.
So funktioniert das digitale Entschlackungsprogramm
Den Begriff Detox kennt man vor allem im Diät-Kontext: Das sogenannte Entschlacken soll den Körper von angeblichen Giftstoffen befreien. Dazu wird über eine gewisse Zeitspanne ein strikter Ernährungsplan eingehalten.
Die digitale Entgiftungskur funktioniert nach dem gleichen Prinzip: Über einen bestimmten Zeitraum verzichtet man auf sämtliche elektronischen Geräte wie das Smartphone, den Laptop oder auch den Fernseher. Somit wird der kaum zu bewältigenden Informationsflut und dem Gefühl, ständig erreichbar sein zu müssen, Einhalt geboten.
Vorreiter des Gegentrends sind die USA, wo außerdem die ersten Digital-Detox-Camps entstanden sind. Mittlerweile gibt es auch in Deutschland die ersten Urlaubsangebote ohne Smartphone und Co. Ziel dieser Camps ist es, sich der ständigen Vernetzung zu entziehen und wieder bewusster auf die Offline-Welt zu fokussieren.
Offline gehen: Warum fällt uns das so schwer?
Die Beschäftigung mit dem Smartphone lässt sich gut mit dem Glücksspiel vergleichen: Auf jede Handlung, die wir mit dem Handy vornehmen, folgt ein Überraschungsmoment. Wie auch im Casino halten die verschiedenen Apps zwar nicht unbedingt eine positive Überraschung bereit – allein die Möglichkeit, beim Öffnen einer Anwendung wie beispielsweise Whatsapp eine freudige Nachricht zu erhalten, sorgt aber dafür, dass unser Gehirn Dopamin ausschüttet. Das Belohnungszentrum wird also jedes Mal aktiviert, weshalb uns der Verzicht besonders schwerfällt.
Das Gefühl, permanent erreichbar sein zu müssen, erzeugt einen starken sozialen Druck. In diesem Kontext spricht man auch von Fear of Missing Out, also der Angst, etwas zu verpassen. Doppelte Häkchen bei Whatsapp oder Facebook zeigen unserem Gesprächspartner, dass seine Nachricht gelesen wurde, nötigen uns zusätzlich dazu, schnell zu antworten.
Viele Smartphone-Anwendungen sind praktische Alltagsbegleiter, die wir nicht missen möchten. Das Bahnticket online kaufen, mal eben den Fahrplan checken oder Termine koordinieren: Dadurch, dass wir mittlerweile auch von unterwegs mit bestem High-Speed-Internet versorgt sind, geraten wir permanent in Versuchung.
Übrigens: Forscher der amerikanischen Ohio State University fanden heraus, dass 2008 mehr als 1000 Amerikaner in die Notaufnahme eingeliefert wurden – ganz einfach, weil sie gestolpert sind, als sie auf ihr Handy geschaut haben.
Fünf Gründe für Digital Detox
1. Stress abbauen
24 Stunden am Stück erreichbar zu sein, verursacht üblen Stress. Zum einen fühlen wir uns einem sozialen Druck ausgeliefert, zum anderen spielt auch das Berufsleben eine große Rolle: Die moderne Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Um Ansprüchen wie zunehmender Vernetzung, erhöhter Konkurrenz und immer schneller werdenden Arbeitsprozessen gerecht zu werden, steht Multitasking auf der Tagesordnung. Das kann wiederum zu Überforderung führen und möglicherweise Erkrankungen wie Burn-out nach sich ziehen.
2. Konzentrationsfähigkeit steigern
Dauerunterbrechungen halten uns davon ab, eine Tätigkeit produktiv und effektiv auszuführen. Um in den sogenannten Arbeitsflow zu gelangen und Bestleistungen zu erbringen, braucht es laut Studien mindestens 15 Minuten. Das Problem: Der Durchschnittsdeutsche schaut alle 12 Minuten auf sein Smartphone. Wenn wir uns ständig ablenken lassen, leidet also die Qualität.
3. Fokus anders setzen
Ein digitaler Entzug ermöglicht es uns, die Offline-Welt wieder intensiver wahrzunehmen. Mit dem Smartphone in der Hand entgeht uns so einiges – sei es die Landschaft, die im Zug an uns vorbeizieht, oder ein gutes Gespräch unter Freunden, dem man irgendwie nur mit halbem Ohr zuhört.
4. Schlafproblemen entgegenwirken
Durch das blaue Licht in LED-Displays wird unser Schlaf-Wach-Rhythmus gestört. Dieser hängt nämlich stark vom Hell-Dunkel-Wechsel ab. Unser Organismus ist so gepolt, dass nachts Melatonin freigesetzt wird, ein Hormon, das uns schläfrig macht. Insbesondere das von LED-Displays ausgestrahlte Licht unterdrückt aber eben diese Ausschüttung von Melatonin, wodurch es zu Schlafstörungen kommen kann.
5. Gesundheitlich bedenklich: Der Handynacken
Beim Blick auf das Handy neigt man den Kopf in der Regel weit nach vorn. Dann wirken Kräfte von über 20 Kilogramm auf Nacken und Rücken. Zum Vergleich: In normaler, aufgerichteter Haltung sind es gerade mal 5 Kilogramm. Für unsere Muskulatur bedeutet das Schwerstarbeit. Hinzu kommt, dass die Halswirbelsäule vieler Menschen schlecht trainiert ist und die „Handyhaltung“ somit eine doppelte Belastung darstellt.
Wenn man fälschlicherweise den Vibrationsalarm seines Handys wahrnimmt, spricht man vom Phantom-Vibrations-Syndrom, kurz PVS. Man nimmt also körperlich etwas wahr, was überhaupt nicht stattfinden. Laut einer Studie des Georgia Institute of Technology betrifft dieses Syndrom rund 90 Prozent aller Smartphone-Besitzer.
Tipps: So verbringen Sie weniger Zeit am Handy
Eine digitale Auszeit tut zweifellos gut, ist aber auf lange Sicht womöglich keine Lösung. Immerhin sind digitale Medien aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Jedes technische Gerät von nun an zu verteufeln, bringt uns also auch nicht weiter. Wünschenswert ist deshalb vor allem ein maßvoller, bewusster Umgang mit Smartphone, Laptop und Co.
1. Handyfreie Tage
Es muss nicht direkt der extreme Weg sein. Wie wäre es für den Anfang mit einem handyfreien Tag pro Woche? Sonntags muss man zum Beispiel nicht unbedingt erreichbar sein, oder? Auch im Urlaub bietet es sich an, eine kleine „Fastenzeit“ einzulegen.
2. Digital-Detox-Apps
Eine Handy-App, die uns helfen soll, weniger oft Apps aufzurufen? Was erst einmal paradox klingen mag, erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Diese Anwendungen führen uns vor Augen, wie viel Zeit wir eigentlich am Smartphone verbringen.
Die deutsche App Offtime etwa blockiert für eine gewisse Zeit störende Programme, aber auch Nachrichten und Anrufe. Der User kann selbst einstellen, auf welche Anwendungen er zugreifen kann und auf welche nicht.
Eine App namens Forest lockt sogar mit einem doppelt guten Gewissen: Wenn man das Smartphone für eine gewisse Zeit nicht betätigt, wächst ein Baum auf dem Display. Sobald man die App verlässt, um beispielsweise Whatsapp zu öffnen, stirbt die Pflanze. Das Prinzip dahinter: Man sammelt virtuelle Münzen, die am Ende gespendet werden – damit ein echter Baum gepflanzt wird.
3. Slow Media
Die Gründer des Slow Media Instituts vergleichen den bewussten Umgang mit digitalen Medien mit der sogenannten Slow-Food-Bewegung. Sich Zeit lassen und die Mahlzeit genießen, anstatt das Essen schnell hinunterzuschlingen – ein solches Verhalten wäre auch im Umgang mit digitalen Geräten erstrebenswert.
Der Neurowissenschaftler Manfred Spitzer spricht sich für einen selbstbestimmten, reflektierten Umgang aus, der es uns ermöglicht, das Smartphone möglichst effektiv zu nutzen. Handys können den Alltag enorm erleichtern. Welche Apps bereichern uns wirklich? Welche kosten nur Zeit? Lesen Sie einen spannenden Artikel das nächste Mal zu Ende, räumen Sie Ihren Instagram-Feed auf und nehmen Sie sich bewusst Zeit, um Ihr Handy effektiv zu nutzen.
4. Zurück zu den Wurzeln
Das Smartphone muss nicht länger Ihr universaler Alltagsbegleiter sein. Eine Armbanduhr ersetzt den Blick auf das Handy-Display, ein Wecker sorgt dafür, dass Sie auch ohne Smartphone in den Tag starten können. Die Einkaufsliste kann auf einen Zettel geschrieben und das endlose Whatsapp-Gespräch persönlich geführt werden. Die Liste ist endlos lang.
Wenn wir unser Smartphone abschalten, geschieht das meist mit einem unguten Gefühl. Hinterher merken wir aber: Eigentlich passiert doch gar nichts. Wir sollten unser Handy im Griff haben – und nicht das Handy uns.
Quellen
JIM-Studie 2018. Online Informationen des Medienpädagogisches Forschungsbunds Südwest (mpfs): www.mpfs.de/studien/jim-studie/2018/ (Abrufdatum: 20.1.2020)
Frees, B., Koch, W.: ARD/ZDF-Onlinestudie 2018: Zuwachs bei medialer Internetnutzung und Kommunikation: www.ard-zdf-onlinestudie.de/ (Stand: 29.1.2019)
Hildebrandt, A., Landhäußer, W.: CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2017
Seibert, F.: BR Podcast. Puls Spezial. Digital Detox: www.br.de/mediathek/podcast/puls-spezial/digital-detox/49654 (Stand: 2.4.2016)
Markowetz, A., et al.: Digitaler Burnout: Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist. Droemer Knaur, München 2015
Spitzer, M.: Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert. Droemer Knaur, München 2015
Köhler, B., David, S., Blumtritt, J.: Das Slow Media Manifest: www.slow-media.net/manifest (Stand: 2.10.2010)
Weitere Informationen
Onmeda-Lesetipps:
- Die 7 häufigsten Handy-Krankheiten: iPhone-Schulter, WhatsAppitis & Co.
- Schlafstörungen durch blaues Licht in LED-Displays?
- Phantom-Vibrationsalarm: Wenn das Smartphone gar nicht klingelt
- Wie Smartphones unsere Kinder krank machen
28.01.2019
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