Verursacht eine Corona-Infektion in der Schwangerschaft neurologische Störungen bei Kindern? Experten üben Kritik
Wie gefährlich ist eine Corona-Infektion der Mutter für das ungeborene Kind? Eine Frage, welche die Wissenschaft bereits seit Beginn der Pandemie beschäftigt. Nun wurde in dem Fachmagazin "Jama Network Open" eine neue Studie vorgestellt, welche die neurologische Entwicklung des Kindes innerhalb des ersten Lebensjahres untersucht hat. Experten bewerten die Ergebnisse allerdings sehr kritisch.
Für die Studie verglich das US-Forscherteam zwei Kohorten, darunter 222 Babys, deren Mütter während der Schwangerschaft an Covid-19 erkrankt waren, und 7550 Babys, deren Mütter sich während der Schwangerschaft nicht infiziert hatten. Alle Geburten fanden zwischen März und September 2020 statt. Zu einer Zeit also, als noch nicht gegen das Coronavirus geimpft wurde. Bei 14 von den 222 Babys wurde eine neurologische Entwicklungsstörung diagnostiziert. Das sind 6,3 Prozent. Von den Babys, deren Mütter coronafrei durch die Schwangerschaft kamen, waren es 3 Prozent (227).
Die Daten stammen aus sechs Krankenhäusern. Die Forscherinnen und Forscher wollen in diesem Ergebnis vorläufige Hinweise sehen, dass die Infektion in der Schwangerschaft bei einigen Kindern neurologische Einschränkungen verursachen könnte. Doch die Studie weist eine Reihe an Limitationen auf.
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Experten sehen „keinen Beweis“ für Zusammenhang
"Auf der Grundlage dieser Studie ist es nicht möglich, den Schluss zu ziehen, dass Covid-19 in der Schwangerschaft Entwicklungsprobleme bei Kindern verursacht", meint Marian Knight von der Universität Oxford, deren Fachgebet die Gesundheit von Müttern und Kindern ist. Sie führt aus, dass es eine ganze Reihe möglicher Erklärungen für diese Ergebnisse gebe. So würden beispielsweise Frauen, die aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen ins Krankenhaus eingeliefert würden, eher auf eine Corona-Infektion getestet. Die Wahrscheinlichkeit ist also höher, dass eine Infektion bei dieser Gruppe, deren Risiko ohnehin schon erhöht ist, auch festgestellt wird — "auch wenn sie [die Corona-Infektion] keine Auswirkungen auf ihre Schwangerschaft hat".
Zudem hätten die Studienautoren nur eine begrenzte Anzahl von Schwangerschaftskomplikationen aufgeführt. Sie sagt: "Unterschiede in der Häufigkeit anderer Schwangerschaftskomplikationen könnten die Ergebnisse eher erklären als eine Sars-CoV-2-Infektion."
Dimitrios Siassakos, Professor für Geburtshilfe und Gynäkologie, University College London, schätzt die Studie ganz ähnlich ein. Es gebe keinen Beweis, meint er, dass eine Covid-19-Infektion der Mutter zu neurologischen Entwicklungsproblemen der Babys führe. Es sei "ebenso wahrscheinlich, wenn nicht sogar wahrscheinlicher", dass die positiv-getesteten Frauen in der Studie — unabhängig von Covid-19 — einige Merkmale aufweisen, die mit späteren Problemen bei ihren Nachkommen in Verbindung stehen.
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Andere Erklärungen für neurologische Störungen möglich
Während eben noch nicht geklärt sei, ob Covid-19 dem Baby direkt schade, wisse man inzwischen mit Sicherheit, dass beispielsweise Schwangerschaftsdiabetes genau das tut. Insbesondere wenn diese nicht diagnostiziert und behandelt wird. "Es ist möglich, dass eine nicht diagnostizierte Diabetes der versteckte Übeltäter ist", so Siassakos. Auch er kommt zu dem Schluss: "Es gibt keinen Beweis dafür, dass dieser Zusammenhang ursächlich [für neurologische Störungen] ist, Covid-19 direkt zu diesen Problemen führt."
Knight verweist auf eine weitere mögliche Erklärung für die Entdeckungen der US-Forscher:innen. Viele Babys in der Studie seien demnach zu früh geboren worden. "Wir wissen, dass die Impfung schwangere Frauen vor schweren Covid-19-Erkrankungen schützt und auch die Wahrscheinlichkeit von Frühgeburten verringert", sagt sie. Und: "Eine vollständige Impfung ist das Beste, was Frauen tun können, um ihr Baby vor den nachteiligen Folgen einer Covid-19-Erkrankung zu schützen."
Corona-Impfung schützt
Wie gefährlich es hingegen sein kann, wenn Schwangere ungeimpft sind, das zeigte eine Studie der Universität Edinburgh (mehr dazu hier). Dort analysierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Daten von Frauen, die zwischen März 2020 bis Oktober 2021 schwanger wurden, darunter 4950, die sich nachweislich mit dem Coronavirus infiziert hatten. Ein Großteil der infizierten Frauen, mehr als 77 Prozent, waren demnach ungeimpft. Und: Jede fünfte schwangere Ungeimpfte erkrankte so schwer an Covid-19, dass sie im Krankenhaus behandelt werden musste.
Zum Vergleich: Bei den Schwangeren mit Impfdurchbrüchen musste nur jede Zwanzigste ins Krankenhaus. Noch deutlicher sind die Zahlen von den Intensivstationen. Nahezu alle schwangeren Patientinnen, die intensivmedizinisch betreut werden mussten, waren ungeimpft – 98 Prozent laut Studie. Eine Frau starb. Seit Mai 2021 empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die Corona-Impfung für Schwangere, die Ständige Impfkommission folgte im September.
Eine weitere Studie, die im Januar im Fachblatt "Jama Pediatrics" veröffentlicht wurde und untersuchte, ob eine Corona-Infektion der Mutter während der Schwangerschaft die neurologische Entwicklung des Säuglings beeinflusste, deutet in eine andere Richtung als die jüngst veröffentlichte Untersuchung. Im Rahmen der Studie wurden Babys im Alter von sechs Monaten untersucht. Die Ergebnisse deuten laut Forscherteam darauf hin, dass zwar der Zeitpunkt der Geburt, also während der Corona-Pandemie, einen Einfluss auf die Neuroentwicklung der Kinder hatte. Die Corona-Infektion der Mütter habe aber vermutlich keinen Effekt gehabt.
Quelle: Jama Network, Preprint der Studie, Jama Pediatrics, Zitate zur Verfügung gestellt von Science Media Center Germany sowie das Science Media Centre UK
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