Unbrauchbare Masken für benachteiligte Menschen? Das eigentliche Problem liegt ganz woanders, sagt ein Experte
Der Schuss könnte für die SPD nach hinten losgehen. Anstatt der Union – und insbesondere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – einen "Maskenskandal 2.0" anlasten zu können, sind die Sozialdemokraten nun selbst zur Zielscheibe ihres Koalitionspartners geworden.
Die Tonlage und die persönlichen Angriffe auf Spahn seien "menschlich und sachlich nicht akzeptabel", so etwa CDU-Chef Armin Laschet in Richtung Willy-Brandt-Haus, nachdem die SPD Spahn einen weitreichenden Vorwurf gemacht hatte. Kanzlerin Angela Merkel sagte dem Vernehmen nach, das Vorgehen der SPD sei "fernab von dem, was man guten Umgang nennt". Spahn selbst sprach im ARD-"Morgenmagazin" von einem "schwierigen Umgang" seitens der Sozialdemokraten.
SPD geht auf Jens Spahn los
Auslöser war eine Recherche des Nachrichtenmagazins "Spiegel", wonach das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geplant haben soll, Hunderte Millionen Schutzmasken aus China, die nicht über das europäische CE-Zeichen verfügen, kostenlos an behinderte Menschen, Obdachlose sowie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger zu verteilen. "Schrottmasken" schrieb der "Spiegel" zunächst, verlegte sich inzwischen jedoch auf die Formulierung "unbrauchbare Masken" (lesen Sie hier mehr dazu).
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Menschen, die durch Armut oder aus gesundheitlichen Gründen besonders durch eine Coronavirus-Infektion gefährdet sind, mit unbrauchbaren Schutzmasken auszustatten – ein solcher Vorgang hätte in der Tat das Zeug zum politischen (und ethischen) Skandal. Entsprechend prasselte das sozialdemokratische Trommelfeuer in den vergangenen Tagen auf Jens Spahn ein – bis hin zu Rücktrittsforderungen. "Das ist unmenschlich, was dort passiert ist", gab SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil zu Protokoll. Fraktionsvize Katja Mast erklärte: "Nutzlose Masken loswerden wollen, indem man sie an hilfsbedürftige Gruppen in unserer Gesellschaft abzugeben versucht … das ist an Zynismus schlicht nicht mehr zu überbieten und absolut inakzeptabel." Und Parteichef Norbert Walter-Borjans fragte via "Bild"-Zeitung, "ob dieses skandalöse Vorgehen von Jens Spahn für eine Partei mit einem christlichen Etikett noch tragbar ist". Es sei "unwürdig und menschenverachtend", wenn der Gesundheitsminister Menschen in zwei Klassen einteile.
Unterschiedliche Prüfverfahren für Schutzmasken
Bloß, was ist dran an den Vorwürfen? Nachdem einige Tage ins Land gezogen sind, wird klar: Im Kern geht es offenbar um unterschiedliche Prüfmaßstäbe, die an die Masken aus Fernost angelegt wurden.
Die fraglichen Modelle verfügen zumeist nicht über die europäische CE-Kennzeichnung nebst vierstelliger Kennnummer. Stattdessen, so das Haus von Jens Spahn, habe man im vergangenen Frühjahr entschlossen, auf das Zeichen zu verzichten und die Modelle einer separaten und abgespeckten Prüfung zu unterziehen. Masken waren seinerzeit ein rares Gut. Unter anderem seien der Tüv Nord, die Dekra und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in die Sonderzulassung eingebunden gewesen.
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Der neu entwickelte Maßstab läuft intern unter der Bezeichnung CPI (Corona-Pandemie-Infektionsschutzmaske). Er soll sicherstellen, dass die Masken die "grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen" erfüllen und sie eine "infektionsschützende Wirkung" haben. Daneben gibt es noch den vereinfachten Prüfgrundsatz CPA (Corona-Pandemie-Arbeitsschutzmaske) des Arbeitsressorts von Minister Hubertus Heil (SPD) – laut BMG mit "identischen Aspekten" hinsichtlich des Infektionsschutzes.
Allerdings räumt das BMG ein, dass bei der Prüfung der Masken nach dem CPI-Standard auf zwei Kriterien verzichtet wurde: So sei das Material nicht für die Dauer von 24 Stunden auf 70 Grad Celsius erhitzt und anschließend auf minus 30 Grad herabgekühlt worden. "Zu berücksichtigen ist allerdings, dass sich diese besonderen Temperaturen im Pandemiealltag – anders als möglicherweise in einzelnen Bereichen des Arbeitsschutzes – nicht stellen", so das Haus von Jens Spahn. Auch sei auf die Prüfung der "Praktischen Leistung" der Masken gemäß DIN-Norm verzichtet worden. Dabei müssen zwei Probandinnen oder Probanden die Masken in simulierten Alltagssituationen verwenden und anschließend bewerten. Diese Regelung ist aus Sicht des BMG "für die beabsichtigte Schutzwirkung (…) nicht relevant".
Ministerium sieht Schutz vor dem Coronavirus gewährleistet
Die entscheidenden Fragen sind also: Sind die in Rede stehenden, nach dem CPI-Verfahren geprüften Masken weniger sicher oder gar gefährlich für die Benutzerin oder den Benutzer? Wäre eine Verteilung an behinderte Menschen, Obdachlose sowie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger also tatsächlich "unwürdig und menschenverachtend" oder "zynisch"?
Nein, meint das BMG: "Die Schutzmasken, die seitens des BMG zur Verteilung an Gemeinschaftseinrichtungen vorgeschlagen wurden, erfüllen nachweislich die Anforderungen des Infektionsschutzes – und genau um den geht es in der aktuellen Pandemie." Eine Einschätzung, der sich Bundeskanzlerin Merkel anschloss. "Die Darlegung ist schlüssig", ließ sie über ihren Sprecher ausrichten.
Dennoch hatte das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium nach eigener Darstellung der Verteilung dieser Masken widersprochen und auf eine umfassendere Prüfung beharrt – im Streit zwischen SPD und Union geht es damit offensichtlich in erster Linie darum, welche Norm, CPI oder CPA, für die Masken anzulegen ist, ob also die beiden fehlenden Prüfungsschritte für die Sicherheit im Pandemie-Alltag relevant sind.
Der "Gold-Standard" für medizinische Masken, also die CE-Kennzeichnung und die Erfüllung europaweit einheitlicher Mindeststandards für den Arbeitsschutz, wird durch beide Normen ohnehin nicht erreicht.
„Es gibt keine Normen für die Prüfung von Masken für den Pandemiefall“
Und hier liegt das eigentliche Problem, meint Christof Asbach, der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung. "Es gibt in der ganzen Europäischen Union keine Normen für die Prüfung von Masken für den Pandemiefall", sagt der Wissenschaftler im Gespräch mit dem stern. Alle gängigen Zertifizierungsverfahren beziehen sich demnach ausschließlich auf den Arbeitsschutz.
Eine mangelhafte Schutzwirkung oder gar eine Gefahr für Trägerinnen und Träger von nicht-zertifizierten Masken sieht Asbach durch die vereinfachten Verfahren nicht. "Die Prüfung ist im Prinzip die gleiche. Generell gilt: Eine vereinfacht getestete Maske ohne CE-Zeichen ist besser als gar keine Maske und kann ebenso schützen."
Studie zu FFP2- und OP-Masken
"Masken werden eine wichtige Schutzmaßnahme gegen SARS-CoV-2-Infektionen bleiben"
Der beschriebene weggefallene Temperaturtest diene beispielsweise unter anderem dazu, den Einfluss langer Lagerzeiten auf die elektrostatische Ladung der Masken zu untersuchen – dies sei in der akuten Pandemielage nicht relevant gewesen. Auch andere für den Arbeitsschutz übliche Testverfahren hält der Forscher in Sachen Infektionsschutz für entbehrlich, etwa eine Prüfung der Maske mit Paraffinöltröpfchen. Denn: "Wir atmen alle keine Öl-Tröpfchen aus."
Der eigentlich kritische Punkt sei ohnehin nicht die Effizienz der Masken, sondern der Umgang der Trägerinnen und Träger mit ihnen. Sitzt der Mund-Nasen-Schutz nicht perfekt, können dem Asbach zufolge Aerosole an den Rändern ein- und austreten, was die Infektionsgefahr erhöhe.
So sieht es auch die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene. Deren Vorstandssprecher Peter Walger forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" wegen der erforderlichen – und nur selten erreichten – Dichtigkeit ein Aus für die Pflicht zum Tragen von FFP2-Masken an bestimmten Orten. Sie gehörten nicht in die Hände von Laien, "egal ob von Obdachlosen, Hartz-IV-Empfängern oder Vorstandsvorsitzenden", so Walger. "Selbst viele Alltagsmasken schützen Laien besser vor Corona als schlecht sitzende FFP-Masken." Er rief zur Vernichtung der Millionen Import-Masken auf.
Doch dazu wird es offenbar nicht kommen. Vor und auch hinter den Kulissen läuft der (Wahl-)Kampf um den "Maskenskandal 2.0" zwar weiter. Faktisch wurde jedoch ohnehin schon längst über den Umgang mit den umstrittenen CPI-Masken entschieden – sie wurden nach BMG-Angaben eingelagert.
Für das Vorgehen schrieb die Groko – unter SPD-Beteiligung – sogar einen eigenen Paragrafen 5b ins Infektionsschutzgesetz: "In der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz werden Schutzmasken unabhängig von ihrer Kennzeichnung für den Fall einer Pandemie zum Infektionsschutz vorgehalten." Die CPI-Masken werden, wenn es gut läuft, nach Ablauf ihres Verfallsdatum in einigen Jahren in den Müll geworfen. Wenn es schlecht läuft und eine neue Seuche kommt, können sie wieder hervorgeholt werden – allerdings nur mit Zustimmung des Arbeitsministeriums.
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