Um die wahre Inzidenz zu kennen, müssen wir auf die Todeszahlen schauen
Seit Ende März scheint sich das Pandemiegeschehen in Deutschland zu entspannen. Aber nehmen die Infektionszahlen tatsächlich so stark ab? Laut Statistiker Christian Hesse ist hierzu ein Blick auf einen ganz anderen Wert nötig: die Todeszahlen.
Erstmals seit Ende Januar fällt die Inzidenz in Deutschland am Karsamstag auf unter 1000. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab den Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Samstagmorgen mit 876,5 an. Zum Vergleich: Am Vortag hatte der Wert bei 1001,5 gelegen. Vor einer Woche lag die bundesweite Inzidenz bei 1141,8.
Diese Entwicklung ist erfreulich – allerdings stellt sich doch die Frage, wie sehr man einem solchen Wert nach einem Feiertag voller Meldeverzögerungen Glauben schenken kann. Und: Nicht nur die Wochenenden und Festtage sorgen dafür, dass die von RKI und Bundesländern gemeldeten Infektionszahlen mit Vorsicht zu betrachten sind.
Statisiker warnt vor hoher Dunkelziffer
„Höchstwahrscheinlich spiegelt die Abnahme keinen entsprechenden Rückgang des Infektionsgeschehens wider“, sagte etwa Statistiker Christian Hesse der „Bild“. Das liege an der immer größer werdenen Dunkelziffer, also an immer mehr nicht erfassten Infektionen.
Corona-Ansteckungen könnten aus zwei Gründen untergehen.
Die Inzidenz alleine reicht also nicht, um das Infektionsgeschehen zu bewerten. Aus diesem Grund nutzt der Statistiker eine besondere Methode, um die Zahl der Infizierten zu ermitteln: Er rechnet „rückwärts“ – er schließt von der Zahl der Gestorbenen auf die Zahl der Infizierten.
Über den Experten
Christian Hesse ist Mathematiker und Leiter der Abteilung für Mathematische Statistik an der Universität Stuttgart. Hesses Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Stochastik, der Mathematik des Zufallsgeschehens. Er hat den Deutschen Bundestag, das Bundesverfassungsgericht und die US-Regierung in mathematisch-statistischen Fragestellungen beraten.
Menschen, die an Covid-19 sterben, versterben meist ein bis zwei Wochen nach der Infektion. Aus diesem Grund bilden die Todeszahlen rückwirkend das Infektionsgeschehen ab.
Experte rechnet „rückwärts“, um Inzidenz zu ermitteln
Hesse geht dafür von folgenden Annahmen aus:
- Etwa 1 Prozent der Menschen, die bei einer Omikron-Infektion Symptome entwickeln, müssen im Krankenhaus behandelt werden.
- Etwa 0,1 Prozent der Menschen, die bei einer Omikron-Infektion Symptome entwickeln, sterben in Folge.
Zuletzt habe die Zahl der mit Corona Verstorbenen deutlich zugenommen: Im Vergleich zu Anfang März um fünf Prozent, im Vergleich zu Mitte März sogar um 15 Prozent. Demnach könnten die gemeldeten Infektionen nicht richtig sein.
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Experten wie Hesse gehen deshalb von einer Dunkelziffer von rund 50 Prozent aus. Das hieße also:
- Meldet das RKI wie am Samstag offiziell rund 38.000 Neuinfektionen – wären es in Wahrheit rund 57.000.
- Liegt die Inzidenz bei rund 880 – läge sie in Wahrheit bei 1320.
RKI mahnt weiterhin zur Vorsicht
Die Berechnungen Hesses zeigen also einmal mehr, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei ist. Aus diesem Grund mahnt das RKI jetzt auch an den Ostertagen zur Vorsicht.
Der Infektionsdruck bleibe trotz klar überschrittenem Gipfel der aktuellen Corona-Welle „mit mehr als einer Million innerhalb einer Woche an das RKI übermittelten Covid-19-Fällen weiterhin sehr hoch“, schrieb es im Wochenbericht von Donnerstagabend, der sich vor allem auf Daten aus der vergangenen Woche bezieht. Etwa seien die Kapazitäten im Gesundheitssystem, besonders im stationären und intensivmedizinischen Bereich, durch zahlreiche Corona-Ausfälle beim Personal weiter stark belastet, stellten die RKI-Gesundheitsexperten heraus.
Der weitere Pandemie-Verlauf bleibe wesentlich davon abhängig, ob sich die meisten Menschen umsichtig und rücksichtsvoll verhielten und inwiefern Kontakte zunähmen, hieß es. Um das Infektionsrisiko an den Ostertagen zu minimieren, empfehlen die Experten demnach, Schutzmaßnahmen weiterhin einzuhalten.
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