Seltene Mutationen schützen vor vererbtem Alzheimer
Personen mit einer vererbten Form der Alzheimer-Erkrankung leiden für gewöhnlich bereits mit 40 bis 50 Jahren an kognitiven Einschränkungen. Ein kolumbianischer Patient erkrankte nun erst mit 67 Jahren, dank einer seltenen Variante eines Gens. Das ist bereits der zweite beschriebene Fall, in dem eine Mutation vor vererbtem Alzheimer schützte.
Die autosomal-dominante Alzheimer-Krankheit ist eine seltene, vererbte Form der Alzheimer-Demenz. Eine bestimmte Mutation des PSEN1-Gens, das für das Transmembranprotein Presenilin 1 kodiert, sorgt für einen frühen Beginn der kognitiven Beeinträchtigungen mit etwa 40 bis 50 Jahren.
Eine internationale Forschungsgruppe wertete genetische und klinische Daten von 1.200 PSEN1-Mutationsträgern in Kolumbien aus. Dabei entdeckten sie einen Patienten, der anders als alle anderen erst im Alter von 67 Jahren kognitiv auffällig geworden war. Die Ergebnisse wurden kürzlich in „Nature Medicine“ veröffentlicht.
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Die tröpfelnde Pipeline
Bereits 2019 hatten die Forscher über eine Frau mit PSEN1-Mutation berichtet, die erst mit 72 Jahren Alzheimer-Symptome zeigte. Die Frau litt nur an leichten Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses und mit 75 Jahren an einer milden Demenz. Bei dieser Patientin wurde neben der beschriebenen Mutation auch eine seltene Variante eines Gens identifiziert, das für Apolipoprotein E kodiert. Diese APOE-R154S-Mutation wurde als ausschlaggebend für die moderaten kognitiven Einschränkungen trotz Alzheimer-Mutation vermutet.
Ähnliche Neuropathologie, aber unterschiedliche Mutationen
Der neu beschriebene Fall zeigt, dass noch eine andere Genvariante einen schützenden Effekt bei vorliegender Alzheimer-Mutation haben könnte: Der kolumbianische Patient war Träger einer bis dahin noch nicht identifizierten Variante des RELN-Gens, das für das Glykoprotein Reelin kodiert. Dieses Protein der extrazellulären Matrix ist im Zentralnervensystem an der Differenzierung und Migration von Neuronen beteiligt. Die Mutation führt zu einem Austausch der Aminosäure Histidin zu Arginin an einer bestimmten Position (H3447R).
„Die am weitesten verbreitete Hypothese zur Entstehung der Alzheimer-Krankheit geht von der vermehrten Entstehung und Ablagerung von beta-Amyloid aus. Ein Ungleichgewicht zwischen Produktion, Abbau und Abtransport des Eiweißstoffes führt zur Bildung kleiner Amyloid-Komplexe, die Neuronen und Synapsen schädigen. Aus den kleinen Komplexen entstehen größere Plaques. In den durch Amyloid geschädigten Nervenzellen ballt sich Tau-Protein zu den charakteristischen Neurofibrillenbündeln zusammen, die den Nervenstoffwechsel stören und Neuronen und Synapsen untergehen lassen.“
[Quelle: Verlangsamen Arzneimittel den geistigen Abbau bei Alzheimer?, DAZ.online, 21.09.2022]
Sowohl bei dem kürzlich gefundenen Patienten als auch bei der Patientin konnten Amyloid-Ablagerungen im Gehirn festgestellt werden, die als pathologisches Merkmal einer Alzheimer-Erkrankung gelten. Der entorhinale Kortex, der eine wichtige Rolle bei der Gedächtnisbildung spielt, ist für gewöhnlich bei Alzheimer bereits in frühen Krankheitsstadien von Aggregationen des Tau-Proteins betroffen. In den Gehirnen des Patienten und der Patientin wurden aber lediglich wenige Anhäufungen des Mikrotubuli-stabilisierenden Proteins festgestellt.
Molekularbiologie des schützenden Effekts
Sowohl Reelin als auch das Apolipoprotein E fungieren als Liganden an den Rezeptoren für das Very-Low-Density-Lipoprotein und für APOE2 (Das Apolipoprotein E (ApoE) hat drei Isoformen: ApoE2, ApoE3 und ApoE4). Dass beide Proteine dieselben Signalwege auslösen, ist also möglich.
Die Autoren vermuten, dass die Punktmutation im RELN-Gen zu einem Liganden führt, der die Tau-Protein-Aggregation einschränkt: Die RELN-H3447R-Variante ist eine Gain-Of-Function-Mutation, die das eigentliche Zielprotein des Reelins (Disabled-1) und einen Schlüsselregulator der Reelin-Signalgebung stärker aktiviert als das Wildtyp-Protein. Dies führte in einer knock-in-Maus zur Verringerung der menschlichen Tau-Protein-Anlagerungen im Vergleich zum Wildtyp.
Der beschriebene molekulare Weg könnte nach weiteren, umfänglichen Studien möglicherweise zur Entwicklung eines Arzneimittels führen, das Menschen mit erhöhtem Alzheimer-Risiko eine Resilienz gegenüber kognitiven Einschränkungen verleiht. Allerdings warnt das Forschungsteam im Diskussionsteil der Studie davor, die Resultate überzubewerten, da sich die hier angedeutete Hypothese bisher nur auf zwei ähnliche Fälle stützt.
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