Ortsbesuch im Kreis Heinsberg: "Gefühlt das halbe Dorf ist hier in Quarantäne"

Ruhig ist es an der Quellstraße, wo sich der kleine Bürger-Treff regelrecht hinter der Dorfkirche zu verstecken scheint. In dieser überschaubaren Halle im 800-Seelen-Ort Langbroich-Harzelt nahm die Verbreitung des Coronavirus im Kreis Heinsberg ihren Lauf. Vor zwei Wochen noch wurde in diesem Ortsteil der Gemeinde Gangelt ganz im Westen Deutschlands fröhlich eine Karnevalssitzung gefeiert. Und auf sie lassen sich gleich mehrere der bis Samstagmittag 60 positiv getesteten Fälle zurückführen. „Aber nur die beiden ersten, das Ehepaar aus Langbroich, befinden sich in stationärer Behandlung“, sagt Landrat Stephan Pusch an diesem Freitag auf seiner Pressekonferenz. In den vergangenen Tagen hat er sich täglich vor Medienvertretern geäußert, die auch von weither anreisten. Alle anderen betroffenen Menschen würden gar keine oder nur die einer Grippe ähnlichen Symptome zeigen, die sich auch zu Hause auskurieren ließen.

Krankheitsausbruch

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Gut eine Woche nach der Karnevalssitzung, am Rosenmontag, hatte sich das Langbroicher Ehepaar ins Krankenhaus begeben. Einen Tag später bestätigten die Laborergebnisse den Verdacht der Infektion mit dem SARS-CoV-2 genannten Virus. Das Gesundheitsamt wurde informiert, „nur 40 Minuten später stand unser Krisenstab“, sagt dessen Leiter Philipp Schneider, zugleich Stellvertreter des Landrats. Und nicht einmal zwei Stunden später sei der Krisenfall ausgerufen worden. Viele vorangegangene Übungen in unterschiedlichen Szenarien machten sich hier bezahlt, sagt er.

Der lokale Krisenstab solle auch weiter das Heft in der Hand behalten, wurde in einer Abstimmung mit dem Landesgesundheitsminister am nächsten Morgen entschieden. Diese Entscheidung sei richtig gewesen, betont Landrat Pusch. „Wir können uns hier vor Ort direkt auf gewachsene Netzwerke stützen, und wir benötigen gerade jetzt in dieser Situation das Vertrauen, das wir in der Bevölkerung genießen.“

Krisenstab zum Coronavirus: „Taktieren geht in solch einer Situation gar nicht“

Ob er im Blick zurück auf die vergangenen drei Tage etwas anders gemacht hätte? „Nein!“, lautet seine Antwort – er sagt es spontan, aber die Worte scheinen bewusst überlegt zu sein. Das gelte nicht nur für die Arbeit des Krisenstabs, sondern auch für die Kommunikation, deren Gesicht der Landrat ist. „Brutal ehrlich“, nennt er seine Kommunikationsstrategie. „Taktieren geht in solch einer Situation gar nicht“, fügt er hinzu.

Und so beantwortete er nicht nur in täglichen Pressekonferenzen Fragen, sondern veröffentlichte auch Videobotschaften in sozialen Netz.

Das scheint ihm Vertrauen in der Bevölkerung des Kreises Heinsberg beschert zu haben, wo bis zum 6. März alle Schulen und Kindertagesstätten geschlossen bleiben. Er bekommt viel Lob in den sozialen Medien. Er wäre ein guter Kandidat für den CDU-Vorsitz, heißt es in Kommentaren. Oder Kanzlerkandidat. „Pusch for Präsident“, heißt es auch.

Suche nach dem „Patienten null“ nicht mehr so wichtig

Doch der Landrat bleibt bodenständig – auch nach drei Tagen, in denen die Herausforderungen wachsen. Am Freitag schließlich verkündet Pusch einen Strategiewechsel des Krisenstabs. „Jetzt müssen pragmatische Lösungen her“, sagt er. Natürlich werde man weiter versuchen, die Infektionsketten zurückzuverfolgen. „Aber den sogenannten ‚Patienten null‘ werden wir nicht mehr finden“, sagt er. Es gehe nun vor allem darum, das Gesundheitssystem der Region weiter zu stabilisieren. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann haben sich erst wenige Stunden zuvor ein Bild von der Situation vor Ort gemacht und den lokalen Krisenstab gelobt. „Wir können damit eine Art Blaupause sein für andere Regionen“, sagt Pusch.

Ungewollt und plötzlich bundesweit im Rampenlicht: Landrat Stephan Pusch bei der Pressekonferenz am Freitag.

Er habe die Zusage, dass weitere Ärzte in den Kreis Heinsberg kommen, die vor allem Hausärzte unterstützen sollen, so Pusch. Zudem sollen sie die erste Anlaufstelle für Personen sein, die mit infizierten Menschen in Kontakt gekommen sind, selbst Symptome zeigen oder in sensiblen Situationen leben oder arbeiten. „Wir müssen einen pragmatischen Weg finden, um nicht selbst unser Gesundheitssystem lahmzulegen, betont er. Die häusliche Quarantäne, in der sich derzeit all diejenigen und ihre Angehörigen befinden, die an der Karnevalssitzung teilgenommen haben oder deren Kinder die Kindertagesstätte besuchen, in dem die betroffene Ehefrau tätig war, reiche aus. Rund 1000 Menschen sind das derzeit. Von einem Sperrbezirk, wie er am Freitag als Falschmeldung im Hörfunk herumgeisterte, will er nichts wissen. „Solange ich hier im Kreis Heinsberg etwas zu sagen habe, wird es den nicht geben“, lautet seine deutliche Aussage.

Nach dem „Schock“ am ersten Tag, von dem Gangelts Bürgermeister Bernhard Tholen spricht, dem Medienrummel und den Vorratskäufen in den lokalen Supermärkten ist inzwischen tatsächlich Ruhe eingekehrt in der Region. Zu Tage gefördert hat sie ein großes Wir-Gefühl vor allem in den besonders betroffenen Orten. Auch eine Plattform in den sozialen Medien wurde eingerichtet, um Hilfe zum Beispiel beim Einkauf für Familien zu organisieren, die sich in Quarantäne befinden.

ZDF-Satiresendung

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Quarantäne wird offenbar freiwillig eingehalten

Dazu gehört auch die Familie von Jens Fleischer. Er ist nicht nur Schriftführer der Langbroicher Karnevalsgesellschaft, sondern hat auch zwei Kinder in der betroffenen Kita. Von einer „ungewohnten“ Situation spricht er in Zeiten von Quarantäne, die offenbar in der Region von allen Familien freiwillig eingehalten wird. „Gefühlt das halbe Dorf ist hier in Quarantäne“, schätzt er. Man müsse halt nur aufpassen, in einem geregelten Alltag zu bleiben. So bringt er seine Kinder zur gewohnten Zeit ins Bett, auch wenn sie am nächsten Morgen nicht in die Kita gehen. „Und wir müssen jetzt einfach Geduld haben. Der Krisenstab macht einen guten Job. Sonst sähe die Zahlen der Betroffenen hier sicherlich anders aus“, sagt er und findet auch sonst nur Lob für die Arbeit im Heinsberger Kreishaus.

Solidarität mit dem betroffenen Ehepaar

„Das war schon ein komisches Gefühl“, sagt auch Zahnärztin Beate Scheuvens, deren Kind ebenfalls die Kita in Breberen besucht. „Wir haben jedoch einmal darüber geschlafen und gehen jetzt ganz rational mit der Situation um“, erklärt sie. Es könne doch genauso gut sein, dass ihre Familie zu denen gehöre, die sich nicht angesteckt hätten. Anstrengend sei der Medienrummel der vergangenen Tage gewesen. Es gehe ihr vor allem darum, dass das betroffene Ehepaar nicht stigmatisiert werde. „Das sind ganz liebe Menschen. Keiner hier von uns zeigt mit dem Finger auf sie. Und wir hier sind alle erst beruhigt, wenn wir die Nachricht erhalten, dass es ihnen besser geht.“ Genesungswünsche für die beiden nimmt das Universitätsklinikum Düsseldorf als Kommentare zu einem Post auf seiner Facebook-Seite entgegen. Sie sollen ausgedruckt und den beiden übergeben werden.

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