Notfallsanitäter verstecken Medikamente unterm Fahrersitz – zum Wohle ihrer Patienten
Mangelnde Befugnisse und fehlende Medikamente: Um ihre Patienten zu retten, greifen Sanitäter teilweise zu drastischen Maßnahmen. Das zeigt ein Bericht des „Report Mainz“. Experten sehen dringend Handlungsbedarf.
Je nach Rettungsdienstbezirk gibt es bundesweit große Unterschiede bei der Ausstattung der Rettungswagen mit Medikamenten. Das zeigen Recherchen des ARD-Politikmagazins „Report Mainz“. Darüber hinaus kritisieren Notfallsanitäter im Interview auch mangelnde Befugnisse. Im Ernstfall bekämen dies auch Patienten zu spüren. Dabei gilt seit 2014 das Notfallsanitätergesetz. Dies erlaubt: „um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden“ abzuwenden, auch eine selbstständige Gabe von Medikamenten durch die Notfallsanitäter. Vorausgesetzt, sie haben es in der Ausbildung gelernt. Dazu wurde eigens die Ausbildung bundesweit vereinheitlicht.
Flickenteppich an Regelungen durch 16 Landesgesetze
Die Probleme bestünden aber weiter, kritisieren Experten. Denn der Rettungsdienst ist noch immer durch 16 einzelne Landesgesetze geregelt. Meistens sind Landkreise und Städte die Träger des Rettungsdienstes. Pro Rettungsdienstbezirk gibt es fast überall einen sogenannten Ärztlichen Leiter Rettungsdienst. Dieser bestimmt unter anderem auch, welche Medikamente Notfallsanitäter geben dürfen.
Umfrage zeigt Unterschiede bei Medikamentengabe
Wie groß dabei deutschlandweit die Unterschiede sind, zeigt eine nicht-repräsentative Umfrage von „Report Mainz“. Auf Anfrage in bundesweit 299 Rettungsdienstbereichen hat das ARD-Politikmagazin 120 Antworten erhalten. Im Umfrage-Durchschnitt sind 17 Medikamente zur Gabe durch Notfallsanitäter freigegeben, ohne dass ein Notarzt hinzugerufen werden muss.
Die Zahlen liegen jedoch weit auseinander. Im Rettungsdienstbezirk Nordfriesland sind es beispielsweise 38 Medikamente. In Bayern dürfen Notfallsanitäter landesweit nur vier Medikamente geben, ohne einen Notarzt nachzufordern. In Bottrop in Nordrhein-Westfahlen ist es sogar nur ein einziges Medikament.
Verstecken von Medikamenten unter Fahrersitz
Was dies in der Praxis bedeutet, erklären Notfallsanitäter aus ganz Deutschland in Interviews mit „Report Mainz“. Die Beschreibungen reichen von heimlich unter dem Fahrersitz versteckten Medikamenten, über selbst beschaffte Materialien zur Notfallversorgung im Wert von mehreren hundert Euro, bis hin zu Notfallsanitätern, die sich weigern, in einzelnen Bezirken zu arbeiten, weil wichtige Ausstattung fehle.
Experten sehen Handlungsbedarf
Marco König, Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes Rettungsdienst, kritisiert gegenüber „Report Mainz“: „Das System Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, so wie es jetzt ist, ist gescheitert.“ Er spricht von „Standesdünkel“ und kritisiert, dass noch immer die Kompetenzen der Notfallsanitäter in Frage gestellt würden. Er fordert mehr einheitliche Standards.
Auch Gesundheitsökonom Prof. Christopher Niehues (FH Münster) plädiert gegenüber „Report Mainz“ für bundeseinheitliche Mindeststandards, die überall verpflichtend gelten. „Für einige werden bundeseinheitliche Vorgaben ungemütlich werden. Aber wir dürfen nicht von einem kleinen Teil bestimmen lassen, dass die Notfallversorgung so heterogen bleibt.“
Alex Lechleuthner, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztlichen Leitung Rettungsdienst Deutschland e.V., warnt im Interview mit dem ARD-Politikmagazin vor einer absoluten Vereinheitlichung, befürwortet aber landesweit einheitliche Vorgaben.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat kürzlich Reformen im Rettungsdienst angekündigt. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge, die Bund und Länder gerade verhandeln.
- Die Sendung erscheint am Dienstag den 31.10.2023, 21:45 Uhr im Ersten
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