Mein liebes Tagebuch

Das Lauterbachsche Ideenpapier zur Zerstörung unseres bestens funktionierenden Apothekenwesens hängt wie eine dunkle Gewitterwolke über den Apotheken. Warum tut er das? Alle, die vom Apothekenmarkt nur ein bisschen verstehen, sehen die Auswirkungen. Die Analysen zeigen: Seine Pläne führen zu einer schlechteren Arzneimittelversorgung der Menschen. Mehr Protest ist angesagt, bundesweit in vier Raten: Der November soll Protestmonat werden, an jedem Mittwoch des Monats sollen die Apotheken in einer anderen Region der vier Himmelsrichtungen schließen. Warum nicht viermal wirklich bundesweit alle? Und während wir mit Lauterbachs Ideenerguss kämpfen, „informiert“ DocMorris die Arztpraxen, dass die E-Rezept-Token zum Versandhaus geschickt werden können, wenn die Patienten es wünschen. 

2. Oktober 2023

Es war eine Art von Big Bang, den der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mega geschickt zum Apothekertag platzierte: Statt die ABDA-Fragen zum Thema Honorar und Apothekenzukunft zu beantworten, überraschte er Fachwelt und Öffentlichkeit mit einem Katalog von eigenen Ideen zur Umstrukturierung des Apothekensystems. Es sind Ideen, die prima vista federleicht daher kommen, für die Öffentlichkeit sogar nach einer Verbesserung der Apothekenstruktur klingen: neue und mehr Filialen, auch von PTA geleitet und ohne Labor und Notdienst. Das muss doch auch den Apotheken gefallen – könnten Außenstehende und Fachfremde meinen, endlich weg mit alten Zöpfen, wie Tageszeitungen diese Ideen bereits kommentieren. Doch wer sich mit der Apothekenstruktur auskennt, stellt sehr rasch fest: Diese Ideen entfalten eine gewaltige Sprengkraft – würden sie Realität, hätten wir bereits in wenigen Jahren ein anderes und zwar schlechteres Apothekensystem – zum Nachteil der Patientinnen und Patienten. Mein liebes Tagebuch, Lauterbachs Papier stößt in Apothekerkreisen einhellig auf Ablehnung: bei der ABDA, aber auch bei der Apothekengewerkschaft Adexa. Und selbst der PTA-Bundesverband (BVpta) zeigt sich über diese Pläne entsetzt.

In einer Pressekonferenz, übertragen im Fernsehsender Phoenix, breitete Lauterbach seine Gedanken aus und versuchte dafür zu werben. Apotheken light für unterversorgte Standorte. Er wolle Versorgungslücken einfach mit wenig Geld und wenig Personal schließen. Mein liebes Tagebuch, er bereitet damit den Boden für Billigfilialen, die keine Rezepturen machen, keine Notdienste leisten und von PTAs geführt werden – das ist Lauterbachs neue Apothekenwelt. Dieser Minister hat keine Ahnung von Apothekenstrukturen und davon, was er mit seinem Billigkonstrukt in Gang setzen würde. Es bleibt mir unerklärlich, warum er nicht diejenigen fragt und mit Leuten redet, die davon eine Ahnung haben: die Apothekers.

DAZ-Wirtschaftsredakteur Dr. Thomas Müller-Bohn hat Lauterbachs Pläne analysiert und zu Ende gedacht. Die Konsequenzen daraus zu sehen und zu verstehen ist wichtig, um sie den Gesundheitspolitikern nahezubringen und zu überzeugen: Lauterbachs Papier ist ein NoGo für die Apothekenlandschaft – wenn man unsere hohen Standards halten möchten. Und die ABDA muss dem Minister klar machen, dass seine „Apotheken light“ nicht zusätzlich zu den vorhandenen Apotheken entstünden, sondern bestehende Filialen und vermutlich viele weitere heute noch existierende Einzelapotheken zu solchen „Apotheken light“ umgewidmet würden. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis des Problems, erläutert Müller-Bohn in seiner Analyse. Zudem könnte sogar das Fremdbesitzverbot ausgehöhlt werden, auch wenn Lauterbach beteuert, dies nicht zu wollen. Mein liebes Tagebuch, wenn sich die ABDA am 13. Oktober mit Lauterbach trifft, so die Terminplanung, dann muss sie die Zusammenhänge, die der Minister nicht sieht oder sehen will, eindringlich erläutern. Und eins klar machen: Es muss mehr Geld ins System – alles andere führt zu einer neuen, zu einer deutlich schlechteren Arzneimittelversorgung im Land.

 

Es war ein überfälliger und richtiger Schritt, als am 1. Oktober 2001 das Prüfungsfach „Klinische Pharmazie“ in die Approbationsordnung für Apotheker aufgenommen wurde. Ohne Ausbildung in klinischer Pharmazie wäre unser Apothekerberuf nicht zukunftsfähig gewesen. Apothekerinnen und Apotheker sind heute in erster Linie keine Arzneimittelhersteller, -untersucher, -prüfer und schon gar nicht Arzneimitteldistributeure. Der Kern der heilberuflichen Aufgabe in der Apotheke ist die patientenorientierte Arzneimitteltherapie, die sich situationsgerecht und individuell am Erkrankten orientieren soll. Und um diese Fragen kümmert sich die Klinische Pharmazie. Die Einführung dieses Faches ist 22 Jahre her – aber es gibt noch lange nicht an allen Universitäten, an denen das Pharmaziestudium gelehrt wird, eine ordentlich Professur für dieses interdisziplinäre Fach. Nur 16 Institute für Pharmazie können einen eigenen Lehrstuhl für „klinische Pharmazie“vorweisen. Das ist keine Vorzeigesituation – das Zukunftsfach für Apothekerinnen und Apotheker, die patientenorientiert in der Apotheke arbeiten wollen, schwächelt. Auch was den Umfang des Unterrichts während der Ausbildung betrifft. Derzeit soll die Klinische Pharmazie in einem Umfang von 210 Stunden unterrichtet werden (6,6% des Gesamtstudiums). Mein liebes Tagebuch, das ist nicht üppig. Immerhin soll der Unterrichtsumfang für Klinische Pharmazie, so der Wunsch des Positionspapiers der Bundesapothekerkammer zur Novellierung der Approbationsordnung auf 574 Stunden (14,7% des Gesamtstudiums) steigen. Hoffen wir, dass dies so kommt. Wenn der Beruf der Apothekerin, des Apothekers inhaltlich zukunftsfest sein soll, dann kommen wir an einer Stärkung der Klinischen Pharmazie nicht vorbei.

 

4. Oktober 2023

Kennen Sie schon das BIPAM? Nein? Dann wird’s langsam Zeit. Hinter der putzigen Abkürzung verbirgt sich das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin, das sich im Aufbau befindet. Das Institut soll sich um die Vermeidung nicht übertragbarer Erkrankungen kümmern, es soll Daten zusammentragen, Maßnahmen zu entwickeln und eine evidenzbasierte Gesundheitskommunikation auf die Beine stellen. Es geht also, wie der Name schon sagt, in erster Linie um Prävention und Aufklärung, im Fokus sollen zunächst Krebs, Demenz und Herz-Kreislauf-Erkrankungen stehen. Voranbringen will dies alles – Karl Lauterbach: Ab 2025 soll das BIPAM arbeiten. Mein liebes Tagebuch, auch wenn er von Pharmazie und Apothekenstrukturen keine Ahnung hat, vielleicht klappt es mit der Prävention. Immerhin ist für ihn klar: „Es fehlt an wirksamer Vorbeugung, unser System ist zu stark auf Behandlung schon bestehender Krankheit ausgerichtet. Deswegen gehen wir Strukturreformen an, die jahrelang liegengeblieben sind.“ Nun kommt es auf die Ausgestaltung des BIPAM an und welche Leistungserbringer hier einbezogen werden. Vielleicht erinnert er sich daran, dass er auf dem Apothekertag mehrfach die hohe Qualifikation der Berufsgruppe der Apothekerinnen und Apotheker erwähnt hat: Er könne sich im Rahmen eines geplanten Gesetzes zur Vorbeugung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen „eine aktive Rolle der Apotheken vorstellen“. Schön, aber mein liebes Tagebuch, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Apotheken sind da sicher gerne dabei, aber nur gegen ein anständiges Honorar – anders wird es nicht gehen.

 

Apotheken in Hessen haben am 2. Oktober wie angekündigt protestiert. Und in Sachsen auch. Außerdem hatten mehrere Ärzteverbände zum bundesweiten Ärztestreik aufgerufen. In den großen Medien war nur vom Ärztestreik zu lesen und zu hören, nichts von Hessen und Sachsen. Diese regionalen Apothekenprotestchen fanden sich nur in Lokalblättern wieder. Und, mein liebes Tagebuch, was hat’s gebracht? Der hessische Apothekerverband, der den Protest in diesem Bundesland initiierte, war „überwältigt von der Resonanz“. Über 1000 Apothekerinnen, Apotheker und Apothekenteams sollen sich laut HAV-Sprecher Alexander Schopbach auf dem Platz vor der Alten Oper in Frankfurt eingefunden haben, über 80 Prozent der hessischen Apotheken sollen sich kreativ beteiligt haben. Berichte darüber habe es in den relevanten hessischen Medien gegeben. Schön, wirklich schön, wenn alle zufrieden waren. Es stellt sich aber die Frage, ob Lauterbach überhaupt mitbekommen hat, dass die Apothekers in Hessen und Sachsen protestierten. Mein liebes Tagebuch, das Engagement einzelner Verbände in allen Ehren, der große Wumms, der durch die Republik donnert, ist das nicht. Wenn Druck auf Lauterbach entstehen soll, muss mehr passieren. Viel mehr.

 

5. Oktober 2023

Mehr Protest soll’ s im November geben. Die ABDA spricht sogar von einem Protestmonat. Geplant sind vier Tage, an denen Apotheken geschlossen bleiben sollen – aber bitte nicht alle auf einmal, so die ABDA. Und das ist die Dramaturgie: Ab 8. November sollen an jedem Mittwoch des Novembers Apotheken in unterschiedlichen Regionen Deutschlands (Osten, Norden, Westen und Süden) schließen. Am 29. November soll es dann in Berlin eine große Kundgebung geben. Okay, mein liebes Tagebuch, das kann man so machen. Das ist dann zwar nicht der große Wumms, aber viermal im November ein kleiner Knall. Da wird’s sehr darauf ankommen, wie diese Strategie in der Presse kommuniziert wird. Stefan Hartmann, Chef des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK) hat allerdings so seine Zweifel, ob diese Vorgehensweise für die nötige Durchschlagskraft sorgt. Er plädiert da eher für einen bundesweiten Streik: „Ein ganztägiger bundesweiter Protesttag ist ohne Zweifel die wirkungsvollste Möglichkeit, mit Apothekenschließungen auf unsere Forderungen aufmerksam zu machen.“ Der BVDAK spricht sich daher dafür aus, im November einen vollen Tag zu schließen und zwar in ganz Deutschland. Wichtiger allerdings sei es, Geschlossenheit zu zeigen. Und daher unterstütze er auch die von der ABDA geplanten regionalen Streiks an vier verschiedenen Tagen.

 

6. Oktober 2023

Liebesgrüße aus Holland, ans „liebe Praxisteam“: Doc Morris schickt Mails an Arztpraxen und „informiert“ darüber, dass die Möglichkeit besteht, den Rezept-Token des E-Rezepts per KIM-Mail über die Telematikinfrastruktur zu übermitteln, freilich nur, „wenn Ihr Patient Kunde bei der Apotheke DocMorris ist und die Einlösung des Rezeptes bei uns wünscht“. Mein liebes Tagebuch, starkes Stück. Aber das war zu erwarten. EU-Versender wie DocMorris lassen nichts unversucht, die E-Rezepte abzufischen. Aber, ist das überhaupt erlaubt? Diese Art der Information sei, so Rechtsanwalt Morton Douglas, für sich genommen noch nichts rechtswidrig, denn der Arzt werde ja nicht aufgefordert, von sich aus Patienten dazu zu veranlassen, diesen Service zu nutzen. Allerdings, empfehlen darf ein Arzt, eine Ärztin dies nicht, dies würde einen Verstoß gegen das Zuweisungsverbot darstellen. Mein liebes Tagebuch, was die Artpraxis empfiehlt oder nicht oder auch nur anregt oder nicht – wer weiß das schon. Gegen die DocMorris-Werbebriefe an die Ärzte kann die Apotheke nichts tun. Allenfalls die Arztpraxis könnte sich dadurch belästigt fühlen, dann könnte man diese ungebetenen E-Mails angreifen. Da stellt sich doch auch die Frage: Was ist, wenn die Vor-Ort-Apotheken ihren Arztpraxen eine nette Mail schreiben und darauf hinweisen, dass die Möglichkeit besteht, den Rezept-Token des E-Rezepts per KIM-Mail über die Telematikinfrastruktur an die Apotheke zu übermitteln, wenn der Patient dies wünscht… Verboten ist das erstmal nicht…


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