Impf-Skepsis unter Pflegern: Manche haben Angst, keine Kinder mehr kriegen zu können

Wer im Alten- oder Pflegeheim arbeitet, hat Anspruch auf eine Impfung gegen Covid-19. Trotzdem lehnen viele Pflegekräfte das Angebot ab. Warum entscheiden sie sich gegen die Immunisierung – und macht ihr Veto sie zu schlechteren Pflegern?

Vor knapp zwei Wochen blickte ganz Deutschland auf ein Seniorenheim in Halberstadt, Sachsen-Anhalt. Edith Kwoizalla, 101 Jahre alt, wurde als erste Deutsche gegen Covid-19 geimpft, noch vor dem offiziellen Start der Immunisierungskampagne. Ihrem Beispiel folgten 39 weitere Heimbewohner sowie zehn Mitarbeiter der Einrichtung. Inzwischen hat das deutsche Impf-Programm Fahrt aufgenommen, viele Senioren haben die Anti-Covid-Spritze erhalten.

Impf-Skepsis: Nur die Hälfte aller Pflegekräfte will sich immunisieren lassen

Nicht so jedoch zahlreiche Pfleger, die ebenfalls zur Gruppe mit der höchsten Impf-Priorität gehören.

Eine Umfrage der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zeigt, dass sich rund die Hälfte aller Pflegekräfte nicht immunisieren lassen will. Und auch Forscher der Universität Erfurt fanden in einer Studie heraus: Bei Menschen, die in einem "Gesundheitsberuf" arbeiten, liegt der Impfwille auf einer Skala von 1 ("auf gar keinen Fall") bis 7 ("auf jeden Fall") bei gerade einmal 3,98.

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Brigitte Harz-Jahnel beobachtet bei einigen Mitarbeitern ein "Unwohlsein", wenn es um die Impfung gegen Covid-19 geht. Die 63-Jährige leitet das Seniorenzentrum "Münchenstift an der Rümannstraße" in der bayerischen Landeshauptstadt. "Nach dem ersten Impfdurchlauf sind bei uns rund die Hälfte der Pflegekräfte gegen Covid-19 geimpft worden oder durch eine vorangegangene Corona-Infektion immun", sagt sie im Gespräch mit FOCUS Online.

In Zahlen bedeutet das: Nur etwas mehr als 100 der 260 Mitarbeiter haben die Anti-Covid-Spritze bekommen, der Rest zögert noch.

Pfleger zögern vor Impfung: "Es geht von der Sorge, keine Kinder mehr bekommen zu können, bis hin zu abstrusen Bedenken"

Besonders die Angst vor unangenehmen Langzeitfolgen scheint viele Pflegekräfte umzutreiben, das wird im Gespräch mit Harz-Jahnel deutlich. "Es geht von der Sorge, durch die Impfung keine Kinder mehr bekommen zu können, bis hin zu abstruseren Bedenken", sagt die Heimleiterin.

Ähnliches berichtet auch Sabina Endter-Navratil, die ein Seniorenzentrum in Pasing leitet. "Manche unserer Mitarbeiter sind auf mich zugekommen und haben gefragt: Was machen Sie? Sie haben mit mir über ihre Verunsicherung wegen möglicher Impfschäden gesprochen und sind skeptisch, weil die Langzeiterfahrung mit dem Covid-Vakzin fehlt ", sagt sie.

Wirklich begründet sind diese Ängste nicht. Der Impfstoff von Biontech und Pfizer wurde in Deutschland regulär zugelassen, alle gängigen Sicherheitsstandards berücksichtigt. Langfristige Impfschäden, wie sie einige Pfleger befürchten, lassen sich nicht erst nach Jahren, sondern schon viel eher feststellen. "Wir reden da von Tagen bis Monaten nach der Impfung", sagte Impf-Experte Florian Krammer zuletzt dem "Spiegel". Das bedeutet: Würde es zu gravierenden Folgeschäden kommen, hätten diese bereits bei den zigtausend Probanden, an denen das Vakzin getestet wurde, auftreten müssen.

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Darf eine Pflegekraft skeptisch sein, wenn es um den Schutz ihrer Patienten geht?

Trotzdem findet es Pflege-Experte Claus Fussek wichtig, dass die Bedenken "derjenigen, die an vorderster Front gegen Covid-19 kämpfen und ganz besonders sensibilisert sind", ernst genommen werden. "Aufklärungsarbeit ist das A und O", sagt er im Gespräch mit FOCUS Online. Fussek weiß, wovon er spricht: Immer wieder wenden sich Pflegekräfte, aber auch Angehörige an ihn, um ihm von Ängsten, Problemen und Missständen im deutschen Gesundheitswesen zu berichten. Er selbst bezeichnet sich schmunzelnd als "Seelsorger" für Menschen, die im Pflegebereich arbeiten.

Dass sich momentan so wenige Pfleger impfen lassen wollen, überrascht den 67-jährigen Sozialarbeiter trotzdem. Schließlich sei die Hoffnung auf einen Impfstoff seit Monaten groß gewesen, viele Pflegekräfte hätten es ihm gegenüber als "Privileg" empfunden, die Ersten in der Impfreihe zu sein. "Aber je konkreter die Debatte um die Immunisierung wird, desto größer wird offenbar auch die Skepsis", sagt er. dpa/Uwe Anspach/dpa/Symbolbild Der Handgriff eines Rollators und ein Gehstock sind in der Wohn-Pflege-Gemeinschaft zu sehen.

Nur: Darf eine Pflegekraft skeptisch sein, wenn es um den Schutz ihrer Patienten geht? "Ob man sich impfen lässt oder nicht, ist aktuell die persönliche Entscheidung des Pflegers. Natürlich hat die Frage auch eine berufsethische Dimension. Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, sollten ein hohes Verantwortungsbewusstsein haben. Trotzdem kann man nicht sagen, dass jemand ein schlechterer Pfleger ist, nur weil er sich gegen eine Covid-Impfung entscheidet", sagt Fussek.

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Lauterbach kritisiert geringe Pfleger-Impfbereitschaft, Söder spricht von "Impfgebot"

Manche Politiker sehen das aber offenbar anders. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der selbst Arzt ist, sagte der Funke-Mediengruppe im Dezember: „Es überrascht mich, dass die Impfbereitschaft beim medizinischen Personal nicht deutlich höher ist und es eine so große Zurück­hal­tung gibt.“ Andere Amtsträger wie Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) appellierten an das moralische Bewusstsein der Pflegekräfte, auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von einem "Impfgebot".

Mit frommen Wünschen wird sich die Impfbereitschaft im Gesundheitswesen wohl nicht erhöhen. Von einer Impfpflicht hält Fussek, der selbst pflegender Angehöriger ist, aber nichts. "Allein das Wort 'Pflicht' löst bei vielen Menschen eine Art Grundopposition im Kopf aus. Ich denke, das würde eher Widerstand auslösen, als ihn zu brechen", sagt er. Stattdessen braucht es laut Fussek eine professionelle, vor allem ehrliche Diskussion. Und: "Kein Arbeitsklima voller Angst und Misstrauen, wie man es leider in sehr vielen Einrichtungen findet."

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Impfbereitschaft unter Pflegern erhöhen: Vorbilder und faire Debatten

Heimleiterin Harz-Jahnel hat festgestellt, dass es hilft, als Vorbild voranzugehen. Sie selbst ist inzwischen gegen Covid-19 geimpft, genau wie alle anderen Führungskräfte im "Münchenstift an der Rümannstraße". "Wenn sich die Wohnbereichsleitungen auf die Impfseite stellen, dann gehen meist viele Kollegen mit", sagt sie. Und auch der direkte Kontakt mit Patienten, die schwer an Covid-19 erkrankt sind, erhöhe die Impfbereitschaft vieler Pflegekräfte.

Im Kompetenzzentrum der AWO-München, das Endter-Navratil leitet, sind schon jetzt 40 von 80 Mitarbeitern geimpft worden. "Mir ist wichtig, dass wir niemanden unter Druck setzen, sich impfen zu lassen", sagt sie. Das scheint sich auszuzahlen: Nach den Weihnachtsfeiertagen wollen sich zahlreiche Pfleger, die am Jahresende im Urlaub waren, impfen lassen.

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