10 mal tödlicher als Grippe: Epidemiologe nennt 3 Probleme, warum wir Corona unterschätzen

Experten machen die Gefahr von Sars-CoV-2 nicht nur an der Zahl der Infektionen fest, sondern auch am Anteil der Verstorbenen. Bislang ist jedoch unklar, wie hoch der wirklich ist. Epidemiologe Rod Jackson erklärt, wo Fehler in der Berechnung liegen und wie sich diese vermeiden lassen.

Wenn es darum geht, die Gefahr des Coronavirus einzuschätzen, wird häufig die Sterblichkeitsrate angeführt. Anfangs hielten Experten das Virus noch für nicht gefährlicher als die Grippe, mittlerweile gibt es Studien, die es in den USA als bis zu 16-mal tödlicher ansehen.

Doch warum kommt es zu diesen Unstimmigkeiten in der Bewertung der Infektionssterblichkeit? Und warum schwanken die Zahlen zwischen den verschiedenen Ländern so stark?

Der Epidemiologe Rod Jackson ist diesen Fragen auf den Grund gegangen und hat drei Probleme ausgemacht, die bei der Berechnung der Sterblichkeit aus seiner Sicht gemacht werden. Diese führt er in einem Gastbeitrag für den New Zealand Herald aus.

Problem 1: Zähler und Nenner der Sterblichkeit sind nicht genau bekannt

Für die Berechnung der Sterblichkeitsrate benötigt man den Anteil der mit Sars-CoV-2-Infizierten, die infolge ihrer Infektion gestorben sind. Man teilt also die Zahl der Todesfälle (Zähler) durch die der Infizierten (Nenner).

„Das mag einfach klingen“, schreibt der Epidemiologe von der University of Auckland, „aber leider lassen sich nur schwer genaue Informationen zu diesen beiden Zahlen finden“.

Aufgrund der hohen Dunkelziffer lässt sich zum einen nicht klar sagen, wie viele Menschen tatsächlich infiziert sind. Auch die Frage, ob jemand mit oder an der Infektion stirbt, ist in vielen Fällen nicht eindeutig geklärt oder kann erst bei einer anschließenden Obduktion beantwortet werden.

Jackson betont außerdem den Unterschied zwischen der „Infektionssterblichkeitsrate“ und einem „Infektionssterblichkeitsanteil“. „Eigentlich handelt es sich nicht um eine Rate. In der Epidemiologie erfordert eine Rate eine Zeitkomponente, beispielsweise 10 Todesfälle pro 1000 Menschen pro Jahr.“

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Problem 2: Es werden unterschiedliche Nenner verwendet

In der Berechnung der Sterblichkeit sei zudem häufig ein weiterer, gängiger Fehler gemacht worden: Die bestätigten Infektionen wurden mit den tatsächlichen Fällen verwechselt. „Beide Berechnungen verwenden den gleichen Zähler, jedoch unterschiedliche Nenner“, führt der Epidemiologe aus. „Einige Menschen haben keine Symptome, viele weitere Infektionen werden aus anderen Gründen nicht gemeldet.“

Jackson nennt ein Beispiel: Unter 100 Menschen, die mit Sars-Cov-2 infiziert sind, könnten etwa nur 50 Symptome haben, diese melden und daraufhin einen positiven Test nachweisen. Die Gesamtzahl der registrierten Fälle beliefe sich dann auf 50. Stirbt nun einer dieser Fälle, ergibt sich ein Sterblichkeitsanteil von 2 Prozent. Tatsächlich ist er jedoch nur halb so groß, bei 100 Infizierten bei 1 Prozent.

Das erschwert auch den Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten wie beispielsweise der Grippe. In Deutschland schätzt das RKI die influenzabedingte Sterblichkeit etwa mit statistischen Verfahren ab. „Dieser Ansatz wird gewählt, weil bei weitem nicht alle mit Influenza in Zusammenhang stehenden Todesfälle als solche erkannt oder gar labordiagnostisch bestätigt werden“, erklärt das RKI.

Die Zahl der mit Influenza in Zusammenhang stehenden Todesfälle berechnet das Institut als Differenz aus der Zahl aller Todesfälle, die während der Influenzawelle auftreten und der Todesfallzahl, die (aus historischen Daten berechnet) aufgetreten wäre, wenn es in dieser Zeit keine Influenzawelle gegeben hätte.

Problem 3: Die Berechnung der Sterblichkeit bezieht sich nur auf bestimmte Gruppen

„Der Anteil der Todesopfer bei Infektionen variiert stark zwischen verschiedenen Personengruppen und hängt insbesondere vom Alter einer Person und davon ab, ob sie an anderen Krankheiten leidet“, erklärt der Epidemiologe.

Demnach ließe sich die Zahl der Toten einer bestimmten Gruppe auch streng genommen nur auf eine Gruppe mit ähnlichen Merkmalen übertragen. Jackson warnt daher: „Wenn die Berechnung von einer Gruppe stammt, die nicht ähnlich ist zur Altersverteilung in ihrer Stadt oder ihrem Land, sagt der Infizierten-Verstorbenen-Anteil nicht viel aus.“ Das wiederum macht einen Vergleich zwischen verschiedenen Ländern oder Städten nichtig.

Auch die Gesundheitsversorgung spiele eine wichtige Rolle, ebenso die Viruslast, der eine Person ausgesetzt ist – „und viele weitere Faktoren, die den Anteil der infizierten Verstorbenen beeinflussen können“.

Jackson kritisiert außerdem die Fehleranfälligkeit vieler kleiner Studien. Seit Beginn der Pandemie gibt es zahlreiche Untersuchungen zu Sars-CoV-2. Häufig werden Forschungsergebnisse schon vorab auf PrePrint-Servern veröffentlicht – und Medien berichten bereits darüber, bevor die Ergebnisse unabhängig überprüft wurden.

„Natürlich hatten wir zu Beginn der Pandemie nur kleine Studien. Wir mussten das Beste aus dem machen, was verfügbar war“, räumt er ein. Mit den heute zugänglichen Daten könne man jedoch wesentlich besser arbeiten.

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Lösung für Problem 1: Repräsentative Infektions- und Antikörper-Tests durchführen

Deshalb dürften bei künftigen Berechnungen also nur noch genaue Zähler und Nennerdaten verwendet werden. Diese zu ermitteln stellt für Jackson die größte Herausforderung dar.

Um den wahren Nenner der Sars-CoV-2-Infektionen abzuschätzen, brauche es groß angelegte und repräsentative Tests. Nicht nur auf das Virus, sondern auch auf Antikörper.

Lösung für Problem 2: Berechnungen ausblenden, die keine geschätzte Virus-Infektionen beinhalten

Auch für das zweite Problem nennt der Epidemiologe einen Lösungsvorschlag – und der ist ebenso pragmatisch wie einfach: „Wir verwerfen einfach alle Informationen, bei denen der Nenner auf den gemeldeten Fällen und nicht auf dem geschätzten Anzahl der tatsächlich Infizierten basiert.“

Lösung für Problem 3: Auf großangelegte Studien konzentrieren

„Erfahrene Epidemiologen haben erkannt, dass sie Informationen verwenden müssen, die aus großen Bevölkerungsgruppen repräsentativer Menschen in einer repräsentativen Altersspanne mit repräsentativen Krankheitsbilder stammen“, erklärt Jackson. Nur so ließen sich aussagekräftige Schätzungen zur Infektionssterblichkeit ableiten. „Eine Studie, mit weniger als mehreren hundert Corona-Todesfällen ist eigentlich keinen Blick wert“, betont er.

Demnach ließen sich aus Ländern wie Neuseeland (25 Todesfälle) oder Island (10 Todesfälle) auch keine repräsentativen Daten erheben.

Eine Studie, mit weniger als mehreren hundert Corona-Todesfällen ist eigentlich keinen Blick wert.

Sars-CoV-2: „Zehn mal tödlicher als die Grippe“

Jackson führt am Zentrum für Epidemiologie und Biostatistik der University of Auckalnd selbst Untersuchungen zur Infektionssterblichkeit durch. Ähnlich wie das Robert-Koch-Institut nutzt Jacksons Team ebenfalls die Anzahl der überschüssigen Todesfälle. Also die zusätzliche (überschüssige) Anzahl der Gesamttodesfälle, verglichen mit der Gesamtzahl der Todesfälle, die normalerweise im gleichen Zeitraum der letzten Jahre gemeldet worden wären.

Auch verschieden hohe Dunkelziffern bezieht das Team bei seinen Berechnungen mit ein. Sehr konservative Schätzungen gehen etwa von einer vierfachen tatsächlichen Infektionszahl aus. „Damit stirbt unter 100 Infizierten eine Person“, erklärt Jackson, der diese Kalkulation für sehr zurückhaltend hält.

Im Vergleich, an der Grippe stirbt eine Person unter 1000. „Das bedeutet, Sars-CoV-2 ist mindestens zehn Mal so tödlich wie die Grippe.“

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