Atropin-Augentropfen bremsen Kurzsichtigkeit

Kurzsichtigkeit beginnt in den meisten Fällen schon im Grundschulalter und begünstigt Augenerkrankungen im späteren Leben. Augentropfen mit niedrig dosiertem Atropin können diesen Prozess aufhalten, wie Experten der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) berichten.

Atropin ist eigentlich ein stark wirksamer Stoff, der in Nachtschattengewächsen wie der Tollkirsche vorkommt. Dass die Substanz auch eine Kurzsichtigkeit verlangsamen kann, ist bereits seit über 100 Jahren bekannt. "Wegen ihrer Nebenwirkungen – Blendung und Nahsichtstörung – wurden Atropin-Tropfen zu diesem Zweck aber kaum verordnet", berichtet Professor Dr. med. Wolf Lagrèze von der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum Freiburg.

Das hat sich aber geändert: Zwei asiatische Metanalysen und eine großangelegte randomisierte klinische Studie belegen mittlerweile, dass das Verabreichen von Atropin-Augentropfen in einer geringen Konzentration von 0,01 Prozent das Fortschreiten von Kurzsichtigkeit bei Kindern um bis zu 50 Prozent bremsen kann und gleichzeitig gut verträglich ist. "Leichte Blendungsempfindlichkeit und Nahsichtstörung bilden sich darüber hinaus bei Absetzen vollständig zurück, so dass kein Schaden entsteht", fügt Lagrèze hinzu. Seit der Veröffentlichung der Studien habe sich die Anwendung niedrig dosierter Atropin-Augentropfen weltweit sehr schnell durchgesetzt und werde auch in Deutschland seit wenigen Jahren von vielen Augenärzten in Kliniken und Praxen eingesetzt.

Jeden Abend ein Tropfen pro Auge

Für die Atropin-Therapie kommen Kinder im Alter von sechs bis 14 Jahren in Frage, bei denen die Kurzsichtigkeit pro Jahr um mindestens eine halbe Dioptrie zunimmt. "Die Eltern geben abends vor dem Zubettgehen jeweils einen Tropfen in jedes Auge", erklärt Lagrèze. Unwillkürliches Blinzeln sorgt für eine gute Verteilung des Wirkstoffs. "Wichtig ist eine Tropfen-Zubereitung ohne Konservierungsmittel", betont der Augenarzt. Zudem muss der Augenarzt die Eltern darauf hinweisen, dass es sich bei dieser Behandlung um einen sogenannten Off-Label-Use handelt – sprich um einen Gebrauch, für den es bei Kurzsichtigkeit noch keine offizielle Zulassung gibt. "Nach zwei Jahren Therapiedauer entscheidet der Augenarzt, ob die Behandlung fortgesetzt werden sollte", sagt Lagrèze.

"Kurzsichtigkeit ist neben dem Alter der Hauptrisikofaktor für ernste Augenerkrankungen wie Grüner Star und Grauer Star oder auch Netzhautablösung, von daher ist es sehr wünschenswert, das Voranschreiten der Kurzsichtigkeit in der Phase ihres Entstehens zu verlangsamen", erklärt Professor Dr. med. Claus Cursiefen, Präsident der DOG. "Zudem gilt: Je früher die Kurzsichtigkeit beginnt, desto stärker wird ihr Ausmaß im Erwachsenenalter sein – ein weiterer Grund für eine frühe Intervention", fügt Cursiefen hinzu.

Aktuell ist in Deutschland eine Behandlungsstudie in Vorbereitung, um zu überprüfen, ob das Atropin-Konzept auch in einer nicht-asiatischen Population eine vergleichbare Wirkung entfaltet. Für diese Studie hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Ende 2018 Fördergelder zur Verfügung gestellt.

NK

Quellen:

DOI 10.1016/j.ophtha.2015.11.010

DOI 10.1016/j.ophtha.2015.07.004

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