Tablette senkt Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen um ein Drittel
Durchblutungsstörungen entwickeln sich oft im Verborgenen. Ein hoher Blutdruck etwa schadet, ohne zu schmerzen. Auch ein hoher Cholesterinspiegel verstopft die Blutgefäße, ohne dem Gehirn etwas davon mitzuteilen. Bemerkbar machen sich die Konsequenzen oft erst, wenn Gefäße so stark verstopft sind, dass der Blutfluss stockt und Herz oder Gehirn nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden.
Die Folgen solcher kardiovaskulären Krankheiten zählen weltweit zu den häufigsten Beschwerden, allein 2015 erkrankten geschätzte 422,7 Millionen Menschen am Herzen und am Kreislauf, knapp 18 Millionen starben.
Dabei ließe sich oft vorbeugen – nicht nur durch einen anderen Lebensstil, sondern auch durch Medikamente: Bereits vor mehr als 15 Jahren entwickelten Forscher erstmals eine günstige Pille, die gleichzeitig Blutdrucksenker und Cholesterinsenker ist sowie das blutverdünnende Aspirin enthält. Bei allen Menschen ab 55 angewendet, könnte die Pille Herz-Kreislauf-Erkrankungen um mehr als 80 Prozent reduzieren, ergab eine Modellrechnung 2001. In der Realität aber wurde ein solches Mittel noch nie in einer großen Gruppe über einen längeren Zeitraum getestet.
Jetzt haben Forscher diese Lücke ein Stück weit geschlossen. Bei ihrer Studie in mehr als 200 Dörfern in Iran zeigten sie, dass eine solche Polypille das Risiko für schwerwiegende Herz-Kreislauf-Krankheiten tatsächlich senken kann – wenn auch nicht um 80 Prozent.
Gesünder essen, weniger rauchen, Pille schlucken
An der Untersuchung nahmen mehr als 6800 Menschen teil, ihr Alter reichte von 50 bis 75 Jahren. Nur 90 Prozent hatten zu Beginn der Studie eine Herz-Kreislauf-Erkrankung, schreiben die Wissenschaftler um Reza Malekzadeh von der Tehran University of Medical Sciences im Fachblatt „The Lancet“. Nach dem Zufallsprinzip unterteilten sie die Teilnehmer im Dorfverbund in zwei Gruppen:
- Die eine Hälfte erhielt ausschließlich Gesundheitsinformationen, wurde etwa über die Vorteile einer Ernährung mit wenig Salz, Zucker und Fetten sowie die Risiken durchs Rauchen und den Konsum von Opium aufgeklärt – eine verbreitete Angewohnheit in der Region.
- Die restlichen Teilnehmer erhielten dieselben Informationen, bekamen aber zusätzlich noch eine Pille mit vier Inhaltsstoffen, die sie einmal täglich nehmen sollten. Das Medikament setzte sich zusammen aus Aspirin, zwei weitverbreiteten Blutdrucksenkern sowie einem Mittel, das den Cholesterinspiegel im Blut reduzieren soll.
Die Untersuchung lief insgesamt fünf Jahre. In dieser Zeit dokumentierten die Forscher, wie häufig die Teilnehmer schwere Herz-Kreislauf-Leiden wie Herzinfarkt oder Schlaganfall entwickelten. Dabei zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen: Während von den Teilnehmern ohne Pille 8,8 Prozent ernsthaft erkrankten, waren es bei den Tablettenschluckern 5,9 Prozent – ein Drittel weniger. Demnach mussten rund 35 Teilnehmer mit der Pille behandelt werden, um eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung zu verhindern.
Noch deutlicher fiel der Effekt aus, wenn die Forscher nur die Teilnehmer betrachteten, die die Pille bis zum Ende regelmäßig schluckten. In dieser Teilgruppe – rund 63 Prozent der Pillen-Gruppe – erkrankten innerhalb der fünf Jahre nur vier Prozent. Das Risiko für eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung war also um mehr als die Hälfte niedriger als in der Nicht-Pillen-Gruppe.
Und was ist mit Nebenwirkungen?
Was verwundert: Bei den Pillen-Nehmern sanken zwar die Cholesterinwerte etwas stärker als in der anderen Gruppe, die Blutdruckwerte aber blieben ähnlich. Ein Grund dafür könne sein, dass bei allen Teilnehmern – egal aus welcher Gruppe – Bluthochdruck behandelt wurde. Niemandem wurde eine Therapie vorenthalten. Die beobachteten, selteneren Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Pillen-Gruppe seien deshalb wahrscheinlich vor allem dem enthaltenen Aspirin zuzuschreiben und nicht den Blutdrucksenkern, schreiben die Forscher der Studie.
Die Idee, ganze Bevölkerungsgruppen ab einem bestimmten Alter vorbeugend zu behandeln, birgt jedoch auch einen großen Nachteil. Sie bringt mit sich, dass auch vollkommen gesunde Menschen Medikamente schlucken und sich damit dem Risiko für Nebenwirkungen aussetzen. Aspirin etwa erhöht dauerhaft eingenommen die Gefahr von Magenblutungen. Zumindest im Studienzeitraum von fünf Jahren aber konnten die Forscher keine schwerwiegenden Nebenwirkungen beobachten.
Sinnvoll ist der Einsatz der Pille vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern, die keine engmaschige Gesundheitsversorgung haben und in denen die Zahl der herzkranken Menschen zunimmt. Dort könne eine breit verfügbare, bezahlbare Polypille den Zugang zu essenziellen Medikamenten verbessern – und somit die Folgen von Herz-Kreislauf-Leiden deutlich zu reduzieren, heißt es im begleitenden „Lancet“-Kommentar.
Eigentlich haben sich die Vereinten Nationen in ihren Nachhaltigkeitszielen vorgenommen, die Zahl der vorzeitigen Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis 2030 um ein Drittel zu reduzieren. Die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer werden dieses Ziel verfehlen, schreiben die Forscher.
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