Oma knuddeln oder lieber Abstand halten? – Tipps zum Schutz vor Erkältungen und Grippe in der Weihnachtszeit (stern+)
Oma holen wir wie immer am ersten Weihnachtstag schon zum Mittagessen ab. Heiligabend sind wir mit den Kindern allein. Wollen wir wieder mal in die Christmette? Am zweiten Feiertag geht es jedenfalls zu den Schwiegereltern. Vor zwei Jahren sah der Advent noch ganz anders aus. Und das Jahr davor haben wir ganz allein im Wohnzimmer gesessen und uns jeden Morgen auf Corona getestet …
So oder so ähnlich wird gerade in Millionen Haushalten hierzulande geplant. Vielleicht steht ja aber auch schon alles fein durchgetaktet fest. Die Familie kommt zum Bestaunen der Geschenke unterm Christbaum und zur Weihnachtsgans zusammen. Spätestens Silvester aber wollen wir in unseren Freundeskreis abtauchen, tanzen und trinken, uns mit den besten Wünschen in den Armen liegen, wenn der Zeiger auf die Zwölf vorrückt. Aber war da nicht was?
Nicht nur Geschenke und Glühwein haben Saison. Ein Blick in die Straßen, in Bahnen und Busse oder auch auf das Gedränge der Weihnachtsmärkte und Kaufhäuser vermittelt den Eindruck, alles sei wieder wie früher. Klar wollen wir die Pandemie vergessen. Die hausärztlichen Praxen aber können sich all derer kaum erwehren, die derzeit Hilfe wegen einer "ILI" suchen. So heißen in der internationalen Fachsprache all die symptomatisch ähnlichen Erkrankungen, die auf einen grippeähnlichen Infekt zurückgehen: ILI – "Influenza like illness". Das auch für solche Infekte zuständige Robert Koch-Institut in Berlin fasst die Lage während der Herbst- und Wintersaison in wöchentlichen Berichten zusammen. Und die zeigen für die akuten Atemwegserkrankungen einen deutlich über dem Durchschnitt liegenden Wert: Gut sieben Millionen hat es bundesweit erwischt. Etwa ein Viertel hat sich deswegen auch schon mit der eigenen Praxis in Verbindung gesetzt oder ist dort gleich zum Empfang gestürmt – mit oder vermutlich ohne Maske. Darum ist nicht nur im Wartezimmer das Risiko groß, Schwärmen von Erregern zu begegnen – alle auf der Suche nach neuen Opfern.
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Die eigentliche Grippesaison, die Zeit der Influenza oder "echten Grippe", hat allerdings noch nicht einmal angefangen, wie die aktuellen Daten zeigen. Rhino-Erkältungsviren vielmehr, von denen es Dutzende gibt, und auch Sars-CoV-2 – Corona also – dominieren derzeit das Feld. Zudem steigt auch RSV, das "Respiratorische Synzytial–Virus" deutlich an, eine Gefahr vor allem für kleine Kinder. Influenza aber spielt noch kaum eine Rolle. Im vergangenen Jahr dagegen ging in der nachpandemischen Phase alles sehr früh los. Allerdings beginnt die eigentliche Grippesaison in gewöhnlichen Zeiten auch erst um den Jahreswechsel. Dieses Jahr scheint es wieder so zu sein. Also genau dann, wenn sich alle über die Feiertage treffen und nahekommen. Nur, weil dann die Influenza-Zahlen vermutlich ebenfalls steigen werden, räumen die anderen Erreger aber nicht gleich das Feld. Man kann sich auch mit mehr als einem Virus infizieren. Also im Zweifelsfall doch zu Hause bleiben? Lieber allein oder im ganz kleinen Kreis feiern, falls einem überhaupt der Sinn danach ist? Wenn die Nase aber nur noch verstopft ist und nicht mehr läuft wie ein paar Tage zuvor, bin ich dann wirklich noch ansteckend? Oder darf Oma dann schon wieder geknuddelt werden?
Wer ganz sicher gehen und seine Lieben maximal schützen will, hat letztlich nur eine Option: möglichst viel Abstand, am besten mit Hauswänden dazwischen. Denn weder Corona noch die Grippe oder eines der vielen Rhino-Erkältungsviren können per E-Mail, Chat oder eine traditionelle Festtagskarte gefährlich werden – es sei denn, Briefträger oder Postbotin überreichen die Grüße persönlich und atmen dabei aus. Wer sich trotzdem auf den Weg zum gemeinsamen Feiern machen will – und das dürften ja die allermeisten sein –, hat inzwischen relativ einfache, aus der Pandemie bekannte Mittel, um seinen eigenen Status halbwegs genau zu checken: Schnelltests aus dem Supermarkt, der Drogerie oder Apotheke. Solche Antigen-Tests gibt es nicht nur für Corona, sondern auch in Kombination für die beiden Influenza-Grundtypen A und B, dazu für RSV.
Damit sind zwar wichtige Erreger abgedeckt, keineswegs aber alle, die für "Erkältungen", grippale Infekte also, infrage kommen. Reicht es dann wenigstens, bei sich selbst auf Symptome zu achten? Tatsächlich gilt für die genannten Viren die Faustregel: Die Zeit, in der ich andere anstecken kann, entspricht ungefähr der Dauer meines eigenen Leidens. Doch ist das leider nicht die ganze Wahrheit. Schauen wir auf ein paar Details und beginnen wir mit Corona, weil dieser Erreger und wir uns in den vergangenen Jahren aneinander gewöhnt haben und einige Überlegungen auch für andere "Feiertagsviren" gelten.
Warum dieses Jahr anders ist
Tatsächlich haben wir uns angepasst: Das Virus Sars-CoV-2 löst nicht mehr eine solche Vielzahl schwerer Erkrankungen aus, wie sie zu Beginn der Pandemie selbst auf den Intensivstationen kaum noch zu bewältigen war. Einer der wichtigsten Gründe ist, dass wir – die potenziellen "Wirte" also – durch Impfungen und auch überstandene Infektionen eine solide Grundimmunität erworben haben. Das schafft schon mal Sicherheit. Die breite Immunität in der Bevölkerung schützt allerdings immer noch nicht vor Ansteckungen, sondern "nur" vor deren schlimmeren Folgen. Jede und jeder kann sich also grundsätzlich infizieren. Dazu gilt auch weiter die aus der Pandemie bekannte Regel, dass mit dem Alter der Menschen und eventuellen Vorerkrankungen die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs von Covid-19 steigt. Vorsicht beim Zusammentreffen mit anderen ist darum also nicht nur eine Frage der Höflichkeit: Oma ist Mitte achtzig und hat Asthma. Tante Frida lebt seit Jahren mit zu hohem Zucker. Wer solche Vorbelastungen mit zur Feier bringt, riskiert trotz möglicher Impfungen und vielleicht Genesungen auch heute noch heftige Symptome bei einer Ansteckung mit dem Corona-Virus. Das muss nicht gleich tödlich enden. Aber die mit dem noch wenig verstandenen "Long Covid" verbundenen, oft vielfältigen Beschwerden sind nicht nur Gerede oder Einbildung. So viel ist inzwischen klar. Und auch Jüngere und Gesunde kann es durchaus erwischen und für längere Zeit lahmlegen. Eine Corona-Ansteckung ist also immer mit einem Risiko verbunden.
Corona-Forschung
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Eine der frühen Erkenntnisse für das damals noch neue Virus war der Zeitpunkt der Infektiosität: rund einen Tag vor dem Auftreten erster Symptome – falls sich das Virus überhaupt bemerkbar machte. Auch heute noch können Viren von Infizierten ausgestoßen werden, die bei sich keinerlei Krankheitszeichen ausmachen. Glieder- und Kopfschmerzen, dazu erhöhte Temperatur oder gar Fieber (über 38 Grad) können dann natürlich trotzdem noch während der Inkubationszeit von einigen Tagen folgen. Ein Schnelltest kurz vor den gemeinsamen Feierlichkeiten ist jedenfalls ganz sicher keine schlechte Idee. Und wenn es Symptome gibt? Dann ist einem vermutlich ohnehin nicht nach Feiern zumute. Aber auch, wenn es einem schon wieder vergleichsweise gut geht, ist die Ansteckungsgefahr für andere noch nicht gleich null.
So zeigte kürzlich eine Studie mit knapp hundert Patienten, bei denen nicht nur die gewöhnlichen Tests gemacht, sondern die Abstriche auch genauestens virologisch untersucht wurden, dass Erwachsene mit milden Verläufen noch zehn bis vierzehn Tage nach dem Beginn der Symptome lebensfähiges Virus ausschieden. Das entscheidende Maß für die Ansteckungsgefahr war dabei nicht jenes Eiweiß des Virus, das normalerweise bei den Schnelltests gecheckt wird, also das "Spike" für das Andocken des Erregers an die Wirtszellen. Wichtiger war der Nachweis eines Proteins, das aus der Erbgut-Hülle des Erregers stammt und N ("Nukleokapsid") genannt wird. War jemand positiv beim Test auf dieses Eiweiß, dann stieß er auch noch "lebensfähiges" Virus aus. Sars-CoV-2 konnte also in einer "Kultur" aus einem Nasenabstrich gewonnen werden und auf Zellen übergreifen. In dieser Zeit besteht dann auch eine Ansteckungsgefahr für andere. Allerdings ist niemand wie auf Knopfdruck infektiös oder am Ende auch wieder nicht. Die Konzentration der ausgeschiedenen Viren steigt erst rasant, sinkt aber im Verlauf der Covid-19-Erkrankung relativ schnell. Sie ist also auch schon kurz vor Ausbruch und etwa in den ersten fünf Tagen danach am höchsten. Das deckt sich auch mit den aktuellen ärztlichen Empfehlungen, die etwa das Robert Koch-Institut formuliert hat. Zwei Wochen nach Beginn der eigenen Krankheit sind als Faustregel ein sinnvoller – wenn auch dann nicht garantiert sicherer – Zeitpunkt, um sich nach Covid-19 wieder unbeschwert unter die anderen mischen zu können.
Alle Jahre wieder: die klassische Grippe
Dass die eigenen Krankheitsbeschwerden ein gewisses Maß für die Infektiosität sind, gilt auch für die Influenza. Ungefähr eine Woche nach den ersten Symptomen besteht in der Regel für andere keine große Ansteckungsgefahr mehr. Die Spanne kann aber variieren. So können Kinder oder Menschen mit einem geschwächten Immunsystem auch noch deutlich länger Virus ausscheiden. Und auch die Influenza ist schon ansteckend, bevor sie einen Menschen mit Symptomen quält. Sind Beschwerden allerdings erst einmal da, treten unter realen Bedingungen eines gemeinsamen Haushalts schon nach etwa drei Tagen kaum noch weitere Ansteckungen auf, weil die Viruskonzentration schon deutlich abgefallen ist. So jedenfalls die Resultate einer Studie, die 2015 von der Weltgesundheitsorganisation in Zusammenarbeit mit der Universität Hongkong und dem Pariser Institut Pasteur präsentiert wurde. Dabei spielten zumindest bei den Erwachsenen das Alter oder auch eine mögliche Behandlung mit dem Grippe-Medikament Oseltamivir keine Rolle für die Infektiosität. Auch der genaue Typ des Grippevirus machte keinen großen Unterschied bei der Frage, wie lange jemand andere infizieren kann. Ein andere Eigenschaft aber kann überaschenderweise dazu führen, dass ein Erwachsener länger Virus ausscheidet als üblich: starkes Übergewicht. Das beobachtete ein US-amerikanisches Team vor einigen Jahren bei Studien in Nicaragua. Wer einen BMI (Body Mass Index) von mehr als 30 hatte und damit adipös war, schied das Virus über einen etwa 40 Prozent längeren Zeitraum aus als schlankere Mitmenschen. Dieser Befund galt zwar nur für die Influenza vom Typ A, nicht für den Typ B. Es kann für die eigenen Risikoabschätzungen knapp vor den Feiertagen aber trotzdem sinnvoll sein, für die Ansteckungsphase einen zusätzlichen Tag einzuplanen. Zusammen wären das also mindestens fünf oder sechs Tage nach Beginn der Influenza-Symptome statt der durchschnittlichen drei oder vier Tage.
Von Grippe bis Covid-19
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Mit der Empfehlung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist man jedenfalls auf der sicheren Seite: Abstand zu anderen für eine Woche ab den ersten Grippebeschwerden. Bei Menschen mit einem funktionierenden Immunsystem gilt dieselbe Zeitspanne auch für Infektionen mit dem RSV-Virus – drei bis acht Tage. Auch bei diesem Virus kann aber eine hohe Infektiosität bereits vor den ersten Krankheitssymptomen bestehen. Und auch für die vielen verschiedenen Rhinoviren gilt als Faustregel derselbe zeitlich Rahmen. Einen Unterschied gibt es bei ihnen aber doch: Diese Erkältungs-Erreger und auch RSV verbreiten sich nicht nur vor allem durch Tröpfchen und Aerosole, sondern auch sehr gut durch eine Schmierinfektion. Sie "kleben" also vielleicht an Türgriffen, an der Haltestange in Bus oder Bahn oder am Griff eines Einkaufswagens.
Noch einmal zur Warnung aber: Bei all den genannten Viren besteht eine eventuell auch schon hohe Ansteckungsgefahr für andere, bevor sie sich bei einem selbst durch Schnupfen, Husten oder Heiserkeit bemerkbar machen. Wer also über die Feiertage besonders empfindliche Menschen mit einem deutlichen Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf treffen will, sollte einen Schnelltest mit kurzem zeitlichen Vorlauf zum Besuch in Betracht ziehen. Und sicher ist es auch keine gute Idee, noch am Heiligabend oder auch am Tag davor im Getümmel die letzten Geschenke oder Lebensmittel zu besorgen. Mit ein bisschen gesundem Menschenverstand kann man jedenfalls halbwegs auf der sicheren Seite bleiben und trotzdem nicht in der Isolation. Dazu sind gründliches Händewaschen und das Tragen einer Maske natürlich auch nach dem offiziellen Ende der Pandemie nicht verboten.
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