Die kleine Schweiz hat fast so viele Corona-Fälle wie Deutschland und unternimmt: nichts
In der Schweiz liegt die Sieben-Tage-Inzidenz am Mittwoch bei 1317,9 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner. Auch die Zahl der Menschen, die sich täglich mit dem Coronavirus anstecken, ist auf einem Rekordhoch. Trotzdem ergreift die Regierung keine neuen Maßnahmen. Kann das gutgehen?
Am 4. Januar verzeichnete die Schweiz 20.742 Corona-Neuinfektionen. Das waren nur knapp 10.000 weniger als hierzulande, und das, obwohl Deutschland fast zehnmal so viele Einwohner hat wie die Schweiz. Doch ergreift die Schweizer Regierung deshalb härtere Schutzmaßnahmen? Nein.
Dabei traf sich der Bundesrat erst an Silvester zu einer außerordentlichen telefonischen Sitzung. Die Politiker tauschten sich über die "besorgniserregende Situation" in den Schweizer Krankenhäusern aus, sprachen über die hohe Zahl an täglichen Neuinfektionen. Wie im Covid-19-Dashboard der Schweiz zu lesen ist, sind rund 76 Prozent der Intensivbetten belegt, knapp die Hälfte davon mit Corona-Patienten.
Trotz hoher Infektionszahlen verschärft die Schweiz Corona-Maßnahmen nicht
Trotzdem lautet das Fazit der Schweizer Politiker: "Der Bundesrat verzichtet […] im Moment auf weitergehende Massnahmen." Betriebe und Einrichtungen will man nur dann schließen, wenn es "unumgänglich ist", heißt es in einer Pressemitteilung.
Der Grund: Bereits am 17. Dezember zog der Bundesrat die geltenden Corona-Maßnahmen an. "Er hat unter anderem den Zugang zu Innenräumen und die Personenzahl an privaten Treffen eingeschränkt, eine Home-Office-Pflicht eingeführt sowie die Maskenpflicht ausgedehnt."
Heißt: Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen dürfen derzeit nur Geimpfte und Genesene betreten, außerdem gilt eine Maskenpflicht. Bei privaten Treffen, etwa mit Freunden oder der Familie, sind drinnen maximal 30 Personen erlaubt. Befindet sich unter den Anwesenden ein Ungeimpfter, schrumpft die erlaubte Personenzahl auf zehn. Daneben sollen Menschen, die im Home-Office arbeiten können, das nach Möglichkeit auch tun.
Das sind zwar für Schweizer Verhältnisse relativ strenge Regeln. Doch sind sie streng genug, um die Infektionsdynamik, die durch Omikron noch verstärkt wird, zu brechen?
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Experte warnt: "Wir haben nicht mehr viel Spielraum in den Spitälern"
Daran haben Schweizer Experten Zweifel. Der Basler Kantonsarzt Thomas Steffen beispielsweise hält eine erneute Verschärfung der Corona-Maßnahmen für unvermeidlich. "Man sollte darüber nachdenken, ob mittlere und große Veranstaltungen wirklich noch in dieser Form erlaubt sein dürften", sagte er der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Richard Neher, Mitglied der Schweizer Corona-Taskforce, warnte im Interview mit der "Sonntagszeitung" davor, dass innerhalb weniger Wochen die halbe Schweizer Bevölkerung an Corona erkranken könnte. "Die Fallzahlen steigen sehr schnell, und wir haben nicht mehr viel Spielraum in den Spitälern."
Das hat auch mit der neuen Virus-Variante Omikron zu tun. Knapp 64 Prozent der Schweizer Corona-Fälle stehen laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) im Zusammenhang mit der Virus-Version. Auch wenn dieser Wert nur eine Schätzung ist, zeigt er, wie stark Omikron bereits grassiert.
Um eine Überlastung in den Kliniken zu verhindern, "muss die Ausbreitung jetzt gebremst werden", meint Neher. Schon vor der außerordentlichen Sitzung des Bundesrats hatte etwa Guido Graf, der Luzerner Gesundheitsdirektor, einen härteren Kurs gefordert.
"In den letzten Stunden des alten Jahres die Maßnahmen anzupassen, hätte panikartig gewirkt"
Der Bundesrat entschied sich letztlich gegen diese Anregung, was einige Mediziner und Politiker durchaus richtig finden. "In den letzten Stunden des alten Jahres die Maßnahmen anzupassen, hätte panikartig gewirkt", sagte beispielsweise der oberste Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger der "Sonntagszeitung". Michel Spingler/AP/dpa Die Corona-Infektionszahlen bewegen sich in der Schweiz auf einem hohen Niveau.
Laut dem Politiker sind die kommenden Tage zentral für die weitere Bewertung der Corona-Lage. Sollten sich die Intensivstationen weiter füllen, muss der Bundesrat laut Engelsberger "nächste Woche neue Maßnahmen beschließen oder zumindest den Kantonen zur Konsultation vorlegen".
Eine Verschärfung von Regeln wie 2G oder 2G Plus lägen in der Schweiz in der Verantwortung des Bundes, bei Schulen oder Großveranstaltungen müssten die Kantone entscheiden. Engelbergers Resümee: "Das Wichtigste ist, dass wir eine passende Antwort auf die Omikron-Welle bereithaben und nicht einfach auf die bequemste setzen."
Der oberste Kantonsarzt Rudolf Hauri stellte sich im Interview mit der "Neuen Züricher Zeitung" (NZZ) ebenfalls auf die Seite des Bundesrats. Die hohen Infektionszahlen würden wenig darüber aussagen, wie dramatisch die Corona-Situation in der Schweiz wirklich sei. "Über die ganze Schweiz gesehen, sind die Hospitalisationen derzeit noch verhältnismäßig stabil", so der Mediziner.
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Bundesrat setzt auf Appelle – nächstes Treffen am 12. Januar geplant
Am Ende bleibt die Pandemie-Politik der Schweiz zurückhaltend, geradezu abwartend. Und das, obwohl der Bundesrat im Falle einer Maßnahmenverschärfung eigentlich mit der Unterstützung der Bevölkerung rechnen könnte. Denn Ende November stimmten 62 Prozent der Schweizer für das Covid-19-Gesetz, das festlegt, mit welchen Maßnahmen der Bundesrat die Pandemie bekämpfen und wie er wirtschaftliche Schäden eindämmen soll.
Ob Appelle, "die Kontakte stark zu reduzieren, Maske zu tragen, die Hygieneregeln zu befolgen und regelmäßig zu lüften" neben den geltenden Regeln wirklich ausreichen, um die aktuelle Corona-Dynamik zu brechen? Das dürfte der Bundesrat spätestens am 12. Januar, also in der nächsten ordentlichen Sitzung, besprechen.
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