Diabetes: Erster heilender Therapieansatz für Typ-1- und Typ-2-Diabetes – Heilpraxis
Diabetes: Neu entdeckter Rezeptor begünstigt Insulinresistenz
Schlechte Ernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und viel verbrachte Zeit im Sitzen lässt Millionen Menschen in Deutschland an Typ-2-Diabetes erkranken. Die Stoffwechselstörung zählt zu den häufigsten Volkskrankheiten hierzulande. Ein deutsches Forschungsteam fand nun heraus, dass ein bestimmter und bislang unbekannter Rezeptor Insulinresistenzen begünstigt. Die Blockierung dieses Rezeptors könnte die Tür zur ersten medikamentösen Behandlung öffnen, um das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten oder umzukehren.
Eine gemeinsame Arbeitsgruppe des Helmholtz Zentrums München, der ETH Zürich, der Technischen Universität München und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) stellen einen neuen Ansatz zur medikamentösen Behandlung von Typ-1- und Typ-2-Diabetes vor. Dreh- und Angelpunkt der Studie ist der sogenannte Insulin-inhibitorische Rezeptor „Inceptor“, dessen Blockierung das Potenzial hat, Insulin-produzierende Betazellen zu regenerieren und vor einer Insulinresistenz zu schützen. Die Forschungsergebnisse wurden in dem renommierten Fachjournal „Nature“ vorgestellt.
Hundert Jahre Diabetesforschung
Die Studienergebnisse krönen ein besonderes Jubiläum, denn vor 100 Jahren wurde das Insulin entdeckt. „Vor hundert Jahren betonte Nobelpreisträger Frederick Banting in seiner Rede zur Entdeckung des lebensrettenden Medikaments Insulin, dass Insulin den Diabetes nicht heilen, sondern nur die Symptome behandeln kann“, erläutert Diabetesforscher Heiko Lickert aus dem Studienteam. Ein ganzes Jahrhundert habe sich nichts grundlegendes daran geändert. Der neu entdeckte Rezeptor habe jedoch das Potenzial, die Behandlung von Diabetes zu revolutionieren.
Diabetes bringt den Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht
Bei Diabetes mellitus handelt es sich um eine komplexe Erkrankung, die durch den Verlust oder die Fehlfunktion von Betazellen gekennzeichnet ist, die in der Bauchspeicheldrüse Insulin produzieren. Genauer gesagt befinden sich die Zellen in den sogenannten Langerhansschen Inseln, einem speziellen „Mikroorgan“ innerhalb der Bauchspeicheldrüse. Die Betazellen sind im hohen Maße für die Kontrolle des Blutzuckerspiegels verantwortlich.
Bei Diabetes ist dieses Gleichgewicht zerstört, wodurch Betroffene unter chronisch hohem Blutzucker, systemischen Stoffwechselstörungen und auf lange Sicht unter Multiorganschäden leiden. „Bildet sich in den Betazellen eine Insulinresistenz aus, kommt es zum Funktionsverlust und führt zum Diabetes“, erklärt Lickert.
Insulin kann nur Schäden begrenzen
Die Behandlung von Diabetes ist eine enorme medizinische und soziale Belastung. Die Patientinnen und Patienten haben eine nachgewiesen verringerte Lebensqualität sowie eine verringerte Lebenserwartung um bis zu zehn Jahre. Bislang wird Diabetes durch das regelmäßige Spritzen von Insulin behandelt. Dies gleicht aber nur kurzfristig die Unfähigkeit des Körpers aus, die passende Menge Insulin zu produzieren, beziehungsweise zu verarbeiten.
Der Rezeptor „Inceptor“
Das gemeinsame Forschungsteam hat nun einen bisher unbekannten Rezeptor entdeckt, der neue Möglichkeiten zur medikamentösen Behandlung von Diabetes eröffnen könnte. Eine Blockierung des sogenannten Insulin-inhibitorische Rezeptor „Inceptor“ desensibilisiert die Insulinrezeptoren auf der Oberfläche von Insulin-produzierenden Betazelle in der Bauchspeicheldrüse und scheint die Zellen so vor einer Insulinresistenz zu schützen.
„Blockiert man die Funktionen von Inceptor, wird der Insulinsignalweg der insulinproduzierenden Betazellen in der Bauchspeicheldrüse sensibilisiert, also empfindlicher“, so die Forschenden. „Das könnte die Betazellen schützen und regenerieren und zu einer Remission des Diabetes führen.“
Betazellen wieder empfindlicher für Insulin machen
„Therapien, die diese Zellen wieder empfindlicher machen für Insulin, könnten Patientinnen und Patienten vor dem Verlust der Betazellen oder ihrer Funktion schützen“, folgert Lickert. Mit der Entdeckung des Insulin-inhibitorischen Rezeptors „Inceptor“ habe seine Forschungsgruppe eine vielversprechende molekulare Zielstruktur für Therapien zum Schutz und zur Regeneration von Betazellen gefunden, die nicht die unerwünschten Nebenwirkungen einer intensiven Insulintherapie mit sich bringt.
Inceptor blockiert Insulinsignale
In Versuchen mit Mäusen zeigte sich, dass Inceptor die insulinproduzierenden Betazellen vor der Aktivierung des Insulinsignalweges abschirmt. Besonders auffallend dabei sei, dass Inceptor bei Diabetes hochreguliert ist – das bedeutet, dass der Rezeptor in einer höheren Anzahl vorhanden ist als gewöhnlich. Daraus schlossen die Forschenden, dass diese Blockierung des Insulinsignals durch Inceptor eine Rolle bei der Entstehung von Insulinresistenz spielt.
Bei Mäusen funktioniert die Behandlung
So entstand die Idee, die Funktion von Inceptor genetisch oder medikamentös zu unterbinden. Mithilfe von speziellen Antikörpern gelang es der Arbeitsgruppe, den Rezeptor zu blockieren. „Das Ergebnis war so, wie wir es uns erhofft hatten: Sowohl die Insulinsignalstärke als auch die Masse funktionaler Betazellen stieg an“, betont Diabetesforscher Dr. Ansarullah, einer der Erstautoren Studie.
„Wir wollen nun die Entdeckung von Inceptor dazu nutzen, neue Medikamente zur Regeneration der Betazellen zu entwickeln“, fügt Lickert hinzu. Damit könnte sowohl bei Typ-1 als auch bei Typ-2-Diabetes eine Remission der Krankheit herbeigeführt werden.
Nächster wichtiger Schritt in der Diabetes-Behandlung
Wie die Forschenden resümieren, hat die Entdeckung des Insulins vor hundert Jahren die tödliche Krankheit Diabetes kontrollierbar gemacht. „Jetzt, da wir den Insulin-inhibitierenden Rezeptor entdeckt haben, sind wir einen weiteren wichtigen Schritt näher an unserem Ziel, die Krankheit künftig ganz zu bezwingen“, unterstreicht Matthias Tschöp, wissenschaftlicher Geschäftsführer am Helmholtz Zentrum München.
Diabetes darf während der Pandemie nicht vergessen werden
„Während die COVID-19-Pandemie eine akute Bedrohung darstellt, die wir überwinden werden, dürfen wir nicht vergessen, dass Diabetes zu den gefährlichsten Krankheiten weltweit gehört mit rasant wachsenden Zahlen“, mahnt Tschöp. Die jüngsten Erfolge in der Forschung lassen jedoch auf eine zukünftige Welt ohne Diabetes hoffen.
Sechs Subtypen von Prädiabetes entdeckt
Doch nicht nur in der Behandlung von Diabetes gibt es große Forschungserfolge zu berichten. Auch bei der Frühdiagnose der Stoffwechselkrankheit gab es einen Durchbruch. Eine deutsche Arbeitsgruppe konnte sechs verschiedene Formen von Prädiabetes identifizieren und gleichzeitig aufzeigen, dass derzeitige Früherkennungsmethoden nicht ausreichen, um die Krankheit rechtzeitig aufzudecken. Mehr Informationen hierzu finden Sie im Artikel: „Prädiabetes: Sechs Subtypen identifiziert – Option für individuelle Frühbehandlung“. (vb)
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