Feiertage ohne Familie: Allein, aber nicht einsam unter dem Weihnachtsbaum
Allein an Weihnachten? Was für manche nach Horrorvorstellung klingt, kann für andere sogar eine deutlich stressfreiere Variante des sogenannten Fest der Besinnlichkeit bedeuten.
Denn besinnlich ist diese Zeit nicht für alle.
„Seien wir ehrlich: Die Feiertage können wunderbar sein, sind aber auch oft eine Stressquelle. Und dieser Stress resultiert oft aus sozialen Situationen“, schreibt Psychologe Dr. Daniel Marston im Fachmagazin ‚Psychology Today‘.
Die Corona-Pandemie beeinflusst diese sozialen Situationen dieses Jahr aber massiv.
Dinge wie der alljährliche Geschenke-Kauf-Marathon, Lebensmittel fürs Festessen einkaufen und mehr Zeit als üblich mit der Familie zu verbringen fallen zum Teil, oder für manche sogar ganz, flach.
Stattdessen entscheiden sich in diesem Jahr mehr Menschen als sonst, nicht zu ihren Lieben zu fahren und die Feiertage mit Freunden, dem eigenen Haushalt oder vielleicht auch ganz allein zu verbringen.
Allein an Weihnachten? Klingt vielleicht erst einmal seltsam, muss es aber gar nicht sein. Denn Alleine sein ist ein Zustand, einer bewussten Entscheidung folgend. Dieser wird oft mit dem Terminus ‚einsam sein‘ gleich gesetzt, meist synonymartig verwendet.
Dabei bezeichnen diese beiden Begriffe zwar dieselbe Grundsituation: ohne andere Menschen zu sein. Doch gehen sie mit ganz anderen Gefühlen einher und entstehen meist aus einer anderen Situation heraus.
„Wir müssen lernen, mit uns selbst allein zu sein“
Der Mensch als soziales Tier ist abhängig von anderen? Nur zu einem gewissen Grad:
„Der Begriff [soziales Tier] impliziert, dass wir, weil wir oft auf die Hilfe anderer angewiesen sind, immer andere um uns haben müssen. Aber das ist nicht der Fall. Wir können es brauchen, dass andere an unserem Leben beteiligt sind, wenn es um Nahrung, Gesundheitsfürsorge, öffentliche Sicherheit und/oder um die Reparatur von Dingen geht“, erklärt Psychologe Dr. Daniel Marston.
Dabei würden Tiere viel mehr erkennen, dass soziale Aktivitäten kein Selbstzweck seien: „Das Zusammensein mit anderen ist wichtig, um Dinge zu erledigen. Wenn diese Aufgaben aber erledigt sind, besteht nicht immer die Notwendigkeit, sich mit anderen zu unterhalten.“
Klingt trist? Dabei ist das vielleicht einer der Unterschiede, der introvertierte Personen im Gegensatz zu extrovertierten Personen ausmacht.
Introvertiert vs. extrovertiert
Introvertierte Personen verbringen tendenziell lieber Zeit alleine als extrovertierte Personen. Sie benötigen diese Zeit sogar, um ihre Akkus wieder aufzuladen und am Ende des Tages ausgeglichener zu sein.
Für diese Personen hat der Begriff ‚alleine sein‘ meist nichts Negatives, ist viel mehr der Ausdruck des bloßen Zustandes, also keine weiteren Personen um sich zu haben. Daraus ziehen sie, solange dieser Zustand nicht überhand nimmt, sehr viel Kraft.
Extrovertierte dagegen gelten als kontaktfreudig und fühlen sich der Forschung zufolge unter Menschen am wohlsten. Gerade deshalb fällt es vielen Extrovertierten wohl schwerer, allein zu sein – sie würden diese Situation vielleicht eher mit dem Terminus ‚einsam sein‘ beschreiben.
Diese beiden Kategorisierungen gehen auf den Psychologen Carl Jung zurück und stammen aus den 1960ern. Natürlich sind beides nur die spitzen Enden eines Spektrums mit zahlreichen Zwischenstufen, kaum jemand lässt sich wohl dem einen oder anderen Extrem zuordnen.
Doch lässt sich daraus ablesen, wie unterschiedlich Menschen Kraft aus dem Zustand des Alleinseins schöpfen können.
Allein sein kann Freude machen
Zurück zum von Dr. Daniel Marston beschriebenen Stresslevel durch die Weihnachtsfeiertage. Egal ob eher introvertiert oder extrovertiert, wenn Corona die alljährlichen Pläne ruiniert, ist das nicht schön.
Darüber darf man enttäuscht und sauer sein, und es ist völlig normal, sich an den Feiertagen alleine zu fühlen. Dabei kann man selbst zu diesem Zeitpunkt enorm viel Kraft aus diesen Tagen schöpfen, so Marston.
„Meine Perspektive ist, dass viele von uns sich damit anfreunden müssen, allein zu sein. Wir Menschen neigen dazu, uns selbst nur dann als wichtig zu betrachten, wenn andere Menschen dabei sind.“
Und wie hilft mir das für die Feiertage?
Wer an Weihnachten alleine ist, sollte sich laut Marston daran erinnern, dass das auch einen Teil des alljährlichen Weihnachtsstress verhindert.
Man kann vielleicht zum ersten Mal wirklich besinnlich Zeit für sich genießen, das vergangene Jahr rekapitulieren und vor allem auch seelisch verarbeiten: „Was geschieht, ist vielleicht nicht zu ändern. Aber wie ich mich dabei fühle und wie ich es beschreibe, kann ich sehr wohl ändern“, so Marston.
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Bei Einsamkeit Freunde oder Familie anrufen
Dabei sollte man den Kontakt zu Freunden oder Familie über das Telefon oder per Video suchen, und die Feiertage auch für sich selbst ein wenig zelebrieren.
Vielleicht feiern andere Bekannte diese Tage auch ohne andere Personen. Besonders diese Kontakte sollte man suchen und so auch ihnen dabei helfen, sich nicht einsam zu fühlen.
Und was introvertierte Personen vielleicht schneller realisieren: Allein sein heißt nicht, einsam zu sein.
„Genießen Sie die Zeit mit sich selbst und nutzen Sie die Feiertage, um sich in Ihrer eigenen Gesellschaft wohler zu fühlen. Und nehmen Sie zur Kenntnis, dass Ihre Feiertage vielleicht ganz anders sind als in den vergangenen Jahren und ganz anders als die, die andere feiern. Aber ‚anders‘ zu sein, bedeutet nicht unbedingt „schlecht“. Es bedeutet einfach nur anders. Und zu lernen, wie man Dinge auf eine andere Art und Weise tut, kann in der Tat eine sehr gute Sache sein“, rät Marston.
Und wenn ich mich trotzdem einsam fühle?
Ganz wichtig ist unter dem Strich trotzdem: Wer sich einsam fühlt und darunter leidet, sollte sich Hilfe suchen. Das ist keinesfalls ein Zeichen von Schwäche.
Wer Freude oder Familie nicht anrufen kann oder möchte, kann sich auch an offizielle Stellen wenden.
Schon von zu Hause aus gibt es barrierefreie Methoden, wie der Chat mit oder ein Anruf bei der Telefonseelsorge. Menschen über 60 Jahre können sich auch an den Verein Silbernetz wenden.
Beide Telefonnummern sind anonym und kostenfrei.
Quellen
- University of Chicago (2009): Loneliness Affects How The Brain Operates, abgerufen am 23.12.2020: https://www.sciencedaily.com/releases/2009/02/090215151800.htm
- Jeste, D. V., Lee, E. E., & Cacioppo, S. (2020). Battling the modern behavioral epidemic of loneliness: Suggestions for research and interventions. JAMA psychiatry, 77(6), 553-554.
- Marston, D. (2020): Being Alone, But Not Feeling Lonely, This Holiday Season, abgerufen am 23.12.2020: https://www.psychologytoday.com/us/blog/comparatively-speaking/202012/being-alone-not-feeling-lonely-holiday-season
- Grannemann, J. (2020): Why Do Introverts Love Being Alone? Here’s the Science, , abgerufen am 23.12.2020: https://introvertdear.com/news/introverts-alone-time-science-marti-olsen-laney/
Mirjam Bittner
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