Wie junge Japaner das Leben aussperren

Seit sieben Jahren verlässt Shoku Uibori sein Haus nur noch nachts und wenn es unbedingt nötig ist. Er trifft ungern auf Menschen, meidet Unterhaltungen. Früher arbeitete er als Geschäftsführer einer Firma, doch diese ging bankrott. Heute ist der 43-Jährige ein Hikikomori.

Auf Deutsch übersetzt heißt dieses Phänomen, das in Japan seit mehreren Jahren verbreitet ist, so viel wie „sich wegschließen“. Es bezeichnet sowohl das Syndrom als auch die Betroffenen selbst.

Sie brechen den Kontakt zur Außenwelt über einen längeren Zeitraum ab, gehen nicht mehr arbeiten und verbarrikadieren sich in ihrem Zimmer. Sie wirken teilnahmslos und ohne Energie. Ein Großteil von ihnen sind junge Erwachsene, meist männlich.

Mietsschwestern sollen Hikikomori helfen

Als die vietnamesische Fotografin Maika Elan für ein halbes Jahr lang in Japan lebte, hörte sie zum ersten Mal von dem Begriff: „Viele Leute dort hatten jemand in der Familie oder einen Freund, manche waren eine Zeit lang selbst ein Hikikomori. Fast jeder hatte direkt oder indirekt schon Erfahrung damit.“ So beschloss Elan, sich in einer Fotoserie mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Die Fotografin lernte Oguri Ayako kennen, die für die gemeinnützige Organisation „New Start“ arbeitet, deren Ziel es ist, Hikikomori aus ihrer Abgeschiedenheit zu holen. Auf Wunsch der Eltern treten Mitarbeiter – sogenannte Mietsschwestern oder -brüder – regelmäßig mit den Betroffenen in Kontakt. Anfangs per Brief, dann übers Telefon, bis sie in die Wohnung gelassen werden.

Die Menschen sollen wieder lernen, das Haus zu verlassen und einfachen Tätigkeiten nachzugehen, sich mit anderen Hikikomori austauschen oder wieder in Jobs eingegliedert werden. Bis sich Erfolge einstellen, dauere es oft Jahre, sagt Elan.



Sie durfte Ayako bei ihrer Arbeit begleiten und porträtierte insgesamt acht Männer in ihrem Zuhause. Es dauerte Wochen, bis Elan Vertrauen zu den Menschen aufbauen konnte: „Anfangs waren sie natürlich sehr zurückhaltend. Viele von ihnen waren überrascht, wenn ich sie fotografieren wollte. Aber sie sind Japaner und werden immer versuchen, freundlich zu sein.“

Im Jahr 2016 bezifferte eine Erhebung der japanischen Zentralregierung die Betroffenen auf 540.000 Menschen im Alter von 15 bis 39 Jahren. Aber es könnten leicht doppelt so viele sein. Menschen ab 40 wurden nicht berücksichtigt, außerdem ziehen es viele vor, im Verborgenen zu bleiben.

Familien würden versuchen es zu verbergen, wenn ein Familienmitglied daran leidet – aus Angst stigmatisiert zu werden, sagt die Fotografin: „Die meisten Eltern glauben, dass es ein Misserfolg ihrer Kindererziehung ist.“

Die Gründe für das Verhalten der Hikikomori sind laut Elan zahlreich: zu großer Erwartungsdruck der Familie oder der Gesellschaft, fehlende Vorbilder, Mobbing, wirtschaftliche Probleme oder traumatische Erfahrungen können Auslöser sein.

„Ich dachte anfangs, sie wären faul, aber es sind alles sehr kluge, empathische und freundliche Leute“, sagt die Fotografin. Je länger die Hikikomori aber von der Gesellschaft getrennt sind, desto mehr würden sie sich als Versager fühlen: „Sie verlieren ihr Selbstvertrauen, und die Aussicht, ihr Zuhause zu verlassen, wird immer furchterregender.“ Deshalb sind Hilfsprogramme wie „New Start“ besonders wichtig.

Die Fotografin plant, das Projekt fortzusetzen, will sich dabei aber mehr auf die Helfer konzentrieren: die Mietschwestern und -brüder.

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