Deutscher Ethikrat positioniert sich gegen Spahns Pläne

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sie gefordert. Ex-SPD-Chefin Andrea Nahles die Pläne unterstützt. Und sogar die Grünen haben sich ein „Ja“ abgerungen: Die Impfpflicht gegen Masern ist in der deutschen Politik angekommen, das Bundesgesundheitsministerium arbeitet unter Hochdruck an einem entsprechenden Gesetz.

Jetzt aber durchbricht eine kritische Stimme die Einigkeit: Der Deutsche Ethikrat hat sich in einer aktuellen Stellungnahme gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. In dem mehr als hundert Seiten langen Dokument diskutiert das Gremium mögliche Nebenwirkungen des Masern-Impfstoffes, das Recht des einzelnen, über seinen Körper zu entscheiden – aber auch Gefahren durch die Infektion für andere, die sich nicht impfen lassen können.

Das Ergebnis: „Die Masern sind eine objektiv – wenn auch oft unterschätzt -gefährliche Infektionskrankheit, die sich mit einem allgemein zugänglichen und gut verträglichen Impfstoff vermeiden lässt.“ Folglich sei es sein wichtiges Ziel, die Impfquoten in Deutschland zu erhöhen. Eine allgemeine Impfpflicht aber sehen die Ethiker als falsches Mittel an. Stattdessen setzen sie auf ein Bündel an Maßnahmen, um das Problem der Impfverweigerer in den Griff zu bekommen, aber auch die Menschen zu erreichen, die einfach schlecht informiert sind.

Ärzte für Falschinformationen sanktionieren

Dazu zählt aus Sicht des Ethikrats nicht nur, Erwachsene besser über ihren Impfschutz aufzuklären oder Eltern verpflichtend an das Impfen zu erinnern. Ziel ist auch, die Verbreitung von Fehlinformationen einzudämmen: „Gegenüber Ärztinnen und Ärzten, die öffentlich (insbesondere in sozialen Medien) Fehlinformationen über die Masernimpfung verbreiten, sind berufsrechtliche Sanktionen vorzusehen“, heißt es in der Stellungnahme.


Der Deutsche Ethikrat

Der Deutsche Ethikrat arbeitet im gesetzlichen Auftrag. Die 26 Mitglieder müssen ihr Amt unabhängig ausüben – dürfen also keine aktiven Regierungsmitglieder sein. Zu ihren Aufgaben zählt es, die Öffentlichkeit über wichtige ethische Fragen zu informieren und die gesellschaftliche Diskussion zu fördern. Die Themen legt der Ethikrat in der Regel selber fest, er kann aber auch von Bundesregierung oder Bundestag beauftragt werden.


Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Anfang Mai den Entwurf für ein sogenanntes Masernschutzgesetz vorgelegt, das noch in diesem Jahr im Bundestag beschlossen werden soll. Es sieht unter anderem vor, dass alle Kinder beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten die notwendigen Masernschutzimpfungen vorweisen müssen. Kommen Eltern dieser Pflicht nicht nach, drohen Bußgelder in Höhe von bis zu 2500 Euro.

Der Deutsche Ethikrat lehnt solche finanziellen Sanktionen in seiner Stellungnahme ab. Es müsse die Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel bedacht werden, heißt es. „So würde etwa die Kontrolle einer sanktionsbewehrten allgemeinen Impfpflicht für Kinder in Betreuungseinrichtungen voraussichtlich einen großen bürokratischen Aufwand verursachen.“ Hinzu komme, dass unter den Folgen von Geldbußen Kinder finanziell schlechter gestellter Eltern wesentlich stärker zu leiden hätten als Kinder wohlhabender Eltern.

Fraglich ist auch, wie stark eine Impfpflicht überhaupt greifen würde. Untersuchungen weisen darauf hin, dass sich die Impfquote bei Kindern in europäischen Ländern mit und ohne Impfpflicht kaum unterscheidet. Auch deshalb müssten zuerst alle vorhandenen milderen Mittel ausgeschöpft werden, schreibt der Ethikrat. „Gesetzliche Zwänge sollten grundsätzlich nur als Ultima Ratio zum Einsatz kommen, nämlich dort, wo alle anderen niedrigschwelligeren Maßnahmen an ihre Grenzen stoßen.“

Ausnahme: Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen

Eine Ausnahme macht das Gremium allerdings: Bei bestimmten Berufsgruppen, die während ihrer Arbeit viel Kontakt mit besonders empfindlichen Personen haben, seien eine Impfpflicht und ein drohendes Tätigkeitsverbot vertretbar. Dabei bezieht sich der Ethikrat unter anderem auf Lehrer, insbesondere sollte die Regelung aber für Personal aus Medizin, Pflege oder Hebammenwesen gelten. Die Betroffenen hätten mit ihrer Berufswahl freiwillig eine erhöhte Verantwortung übernommen, heißt es in der Stellungnahme.

Die Regelung soll Menschen zumindest zu einem gewissen Grad schützen, die nicht geimpft werden können. Bei ihnen kann das Überleben davon abhängen, ob sich die Personen in ihrem Umfeld haben impfen lassen. Zu den Betroffenen zählen unter anderem Menschen mit einer eingeschränkten Immunabwehr und Säuglinge ohne einen ausreichenden Nestschutz.

Auch in Deutschland sieht der Gesetzesentwurf Sonderregelung für Menschen in bestimmten Berufsgruppen vor. Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen arbeiten oder Kontakt zu Kindern haben, sollen in Zukunft eine Impfung oder durchgestandene Maserninfektion nachweisen müssen. Andere Erwachsene betrifft das vorerst nicht. In medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Arztpraxen sei das bereits gelebte Praxis, schreibt das Bundesgesundheitsministerium in einer Pressemitteilung.

Eigentlich hatte sich Deutschland dazu verpflichtet, die Masern bis 2015 zu eliminieren. Stattdessen sind in diesem Jahr bereits mehr als 400 Menschen an den Viren erkrankt. Damit der Körper einen ausreichenden Schutz aufbauen kann, sind zwei Impfungen notwendig. Die erste sollte laut Robert Koch-Institut im Alter von elf bis 14 Monaten erfolgen, die zweite im Alter von 15 bis 23 Monaten. Erwachsene sollten überprüfen, ob sie in der Kindheit tatsächlich zweimal geimpft wurden.

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